Artikel aus der Ausgabe 1/2-2025 - KGS Berlin - Körper Geist Seele

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Artikel aus der Ausgabe 1/2-2025

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So verletzlich! – Über unser Schutzbedürfnis und das Verzeihen ... von Wolf Sugata Schneider

Wenn wir nicht vergeben wollen und uns nicht versöhnen können, glauben wir, dass uns jemand etwas angetan hat und wollen, dass das nicht wieder passiert. Vor dem - vermeintlichen oder wirklichen - Übeltäter glauben wir, uns schützen zu müssen. Am besten durch eine Bestrafung des Täters. Das scheint uns eine gewisse Garantie zu geben, dass die Tat sich nicht wiederholt. Meist ist es jedoch so, dass der Täter sich und allen, die es hören wollen, eine andere Geschichte von dem Vorfall erzählt. In dieser Geschichte ist er das Opfer, nicht ich, und er möchte, dass ich eine Strafe erleide. Sodass er vor einer Wiederholung geschützt ist, nicht ich. So wünschen sich beide Seiten Vergeltung, und in beiden Fällen ist der Grund dafür das eigene Schutzbedürfnis. Wir könnten nun die beiden einander widersprechenden Geschichten auf faktische Wahrheit hin überprüfen sowie die Schuldzuweisungen darin auf Angemessenheit: Waren es große Regelbrüche oder kleine, waren sie beabsichtigt oder unbeabsichtigt? Dieses Vorgehen führt jedoch nur selten zur Versöhnung, da beide Seiten ihre eigenen Informationsquellen haben. Falls auch die Moralsysteme der beiden Gegner verschieden sind, beurteilen sie unterschiedlich, was als Überschreitung gilt und was nicht.

Reichlich Stoff für Schuldzuweisungen
Konflikte auf diese Art zu lösen war schon immer schwierig. Heute ist es bei gesellschaftlichen Konflikten noch schwieriger geworden, weil das Übermaß an zugänglichen Informationen über das Internet das Framing erleichtert: Jede der beiden Seiten kann ein Übermaß an Gründen aufführen, oft sogar ohne zu lügen, warum ihre Geschichte aufgrund belegbarer Fakten die Gültigere ist. Das Schutzbedürfnis beider Seiten führt dann zur Eskalation, denn beide Seiten empfinden sich im aktuellen Konflikt als "das eigentliche Opfer".
Vergebung? Nein, "sowas" kann man nicht vergeben, heißt es auf beiden Seiten. Der Täter würde sich ja ermutigt fühlen, im Falle des Ausbleibens einer Strafe ("Immunität" sagen Juristen dazu) ihre Tat zu wiederholen. Nur ein Verlassen dieser argumentativen Ebene kann diese Opfer/Täter-Logik überwinden. Dazu müssen wir unterscheiden zwischen einerseits der ethischen Beurteilung einer Tat: War sie richtig oder falsch. Und andererseits der Heilung des Konfliktes. Heilung insbesondere auch auf Seiten des (vermeintlich oder real) geschädigten Opfers. Wenn ein Konflikt schon länger schwelt, sind meist beide Seiten geschädigt und empfinden sich als Opfer, und die Faktenlage bietet ihnen reichlich Material, das zu begründen.

Eine Auschwitz-Überlebende verzeiht
Vor einigen Jahren habe ich Eva Mozes Kor getroffen, deren persönlicher Umgang mit Verzeihen Aufsehen erregt hat. Geboren 1934 in eine jüdische Familie in Siebenbürgen, war sie zusammen mit ihrer Zwillingsschwester als zehnjähriges Mädchen unter den von Josef Mengele im KZ Auschwitz untersuchten Gefangenen. Beide überlebten das KZ und wanderten 1950 nach Israel aus. Eva wurde 85 Jahre alt, ihre Schwester starb im Alter von 59 vermutlich an Spätfolgen der Experimente Mengeles.
In 1990er Jahren begann Eva, sich mit dem Verzeihen zu beschäftigen. Sie besuchte Hans Münch, den einzigen der Ärzte aus dem Mengele-Team, der noch lebte, und verzieh ihm in aller Öffentlichkeit. Das brachte ihr schwere Vorwürfe von u. a. jüdischen Organisationen ein, die darauf bestanden, dass diese Taten unverzeihlich seien.

Opfer wollen Frieden finden
Evas Begründung war, sie würde nicht deshalb verzeihen, weil diese NS-Täter das verdienen, sondern "weil ich es verdiene". Als ich sie auf einem Vortrag in Bad Kissingen traf, fand ich sie sehr überzeugend in ihrer Unterscheidung zwischen der Schuldfrage "War es richtig, was X tat?", und dem Motiv ihrer persönlichen Befreiung von der Wut, dem Schmerz und fortdauernden Groll, den die schrecklichen Taten in ihr hinlassen hatten.
In den 90er Jahren traf ich noch einen anderen Auschwitz-Überlebenden, der ebenfalls auf die Täter zuging, soweit sie noch lebten und auffindbar waren. Nicht um deren Taten zu "entschuldigen", sondern um selbst inneren Frieden zu finden. Beide Begegnungen halfen mir, die Heilkraft des Verzeihens zu verstehen als etwas, das klar von der Schuldfrage zu trennen ist.
Nicht immer ist die Schuldzuweisung so eindeutig wie im Fall der NS-Täter. Umso bewegender, wie heilsam sogar bei diesen Taten das Verzeihen für das Opfer sein kann. Dass dabei auch der Täter sich als fehlbarer, letztlich liebenswerter Mensch empfinden kann, ist möglich und aus der Sicht von Eva Mozes Kor keineswegs ein Schaden. Das primäre Ziel ihrer Vorträge über das Verzeihen aber war die seelische Heilung der Opfer.

Wer hat angefangen?
Dass Eva Mozes Kor einerseits bewundert, andererseits schwer kritisiert wurde, finde ich verständlich. Die Ebene der Frage "Wer hat Schuld?", ist ja nicht leicht zu verlassen. Alle Gesellschaften, die sich nach ethischen Regeln organisieren wollen, brauchen diese Ebene. Um dort Verteidigung und Angriff voneinander unterscheiden zu können, steckt in ihr die Frage: Wer hat angefangen? Wenn der vermeintliche Anfang provoziert wurde, war es nicht der wirkliche Anfang, sondern eine Reaktion.
Da oft beide Seiten beanspruchen, nicht angefangen zu haben, provozieren sie sich in der Folge mit tendenziell eskalierenden "Vergeltungsakten". Bald kann keiner mehr aussteigen, weil die Schäden auf beiden Seiten zu groß geworden sind. Ein genauer Blick auf den Anfang führt jedoch meist zu Antworten wie die Frage nach der Henne und dem Ei.

Ein anderer Mensch werden
"Ein Problem kann nicht auf der Ebene gelöst werden, auf der es entstanden ist", soll Einstein mal gesagt haben. Das gilt umso mehr für die Schuldfragen. Auch die von Gerichten "zu Recht" getroffenen Verurteilungen führen nur in Ausnahmefällen zu Einsicht und Versöhnung; in der Regel verursachen sie weiteres Unheil.
Frieden und Heilung brauchen immer einen Schritt über die bisherigen Ich-Verortungen in der Welt hinaus. Hinein in eine neue Identität, ein neues Selbstverständnis. Die Kontrahenten müssen sich dazu als Werdende verstehen, die heute anders sind als sie noch gestern waren. Der Wendepunkt von gestern zu heute ist die Erkenntnis, dass ich ein Niemand bin: Nichts Menschliches ist mir fremd; was mir angetan wurde, könnte auch ich einem anderen angetan haben. Und der Schritt ins Neue ist das Verzeihen.

Die Schwelle überschreiten
Es ist ein Schritt über eine Schwelle. Ob der Täter dessen, was mir damals angetan wurde, von diesem Schritt erfährt und falls ja, mit meinem Verzeihen etwas anfangen kann, gar sich erlöst fühlt, ist zweitrangig.
Für die Heilung entscheidend ist, dass ich mir selbst wichtig genug bin, mich aus dem Bann von "X ist schuld" zu lösen und dann den Mut habe, diese Schwelle zu überschreiten. Hineinstürzend, fallend oder schwebend in die Zeit- und Schuldlosigkeit. Wie der Dichter Rumi es sagte: "Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns."

Jenseits der Zäune das Unendliche
Solch ein Schritt braucht Empathie: Liebe für sich selbst und alle anderen Selbste. Um unsere Gärten ziehen wir Zäune, so ähnlich auch um uns selbst, weil wir "die da draußen" für potenzielle Angreifer halten. Aber auch die da draußen sind schutzsuchende, verletzliche Wesen. Im Fall eines Angriffs die andere Wange hinzuhalten empfahl Jesus. Das zeugt von großer Hingabe an das Grenzenlose, Göttliche. Diesseits der Schwelle ist solch ein Verhalten jedoch eine Einladung zum Missbrauch. Andererseits brauchen wir, um Frieden zu finden, Verständnis für und Zugang zu dem Raum hinter den Zäunen. Nur dort geschieht Heilung, und die Liebe ist grenzenlos.


Wolf Sugata Schneider, Jg. 52. 1985-2015. Hrsg. der Zeitschrift Connection. Autor von »Sei dir selbst ein Witz« (2022). www.connection.de, www.bewusstseinserheiterung.info, www.ankommen.website

Hinweis zum Artikelbild: © Srdjan – AdobeStock



Die Rolle der Frau im Zweiten Weltkrieg und die Auswirkungen auf unser heutiges Leben ... von Alexandra Clara Giray

Transgenerationale Traumata und wie sie sich in unserem Leben zeigen können
"Alles was nicht gelöst werden kann im Leben wird an die Nachkommen weitergereicht, in der Hoffnung, dass sie es lösen können. Es ist also nicht als Bürde zu verstehen, sondern als Wunsch nach Heilung." Das waren die Worte meiner Großmutter an mich, mit der ich medial verbunden bin. Sie ist auf die andere Seite gewechselt als ich 15 Jahre alt war. Ich hatte von ihr ein Päckchen nach vorne gereicht bekommen. Als ich es 2012 entdeckte und mich tief damit auseinandergesetzt habe, begann für mich ein völlig neuer Blickwinkel auf meine Ahnen, die deutsche Geschichte und welche Rolle wir, die Nachkommen, darin spielen. Durch eine schwierige Trennung mit viel Kampf und Missverständnissen war ich zusehends mehr auf mich selbst geworfen. Irgendwann meinte meine innere Stimme: Hör auf im Außen etwas verändern zu wollen, finde den Resonanzpunkt in dir. Finde den Hass und die Verbitterung, die dir im Außen widerfährt, in deinem Herzen. Mit dieser Erkenntnis und der Hilfe einer lieben Freundin wurde ich fündig: ein Erbstück meiner Großmutter. Ein unverzeihlicher, verbitterter Anteil in meinem Herzen, dem ich nichts recht machen konnte. Der kein gutes Haar an mir lies. Sie hatte, das weiß ich jetzt, aufgrund einiger Umstände für ein Drittel ihres Lebens in einer unverzeihlichen Bitterkeit gelebt. Als ich dieses Päckchen, wie ich diese Traumata liebevoll nenne, gelöst hatte, löste sich das Drama im Außen.
In der Tiefe ging es darum, diesen Anteil der Verbitterung anzunehmen, diesen Schmerz zu durchfühlen, der real jetzt in meinem Herzen war, ihn zu vergeben und in Würde loszulassen, für einen Moment das Schicksal meiner Großmutter zu würdigen und zu fühlen, warum sie ihr Herz verschlossen hat. Diese Erfahrung ließ mich mit der Erkenntnis zurück, dass wir in uns Traumen tragen, die als Blockaden in unserem Leben wirken, ohne dass wir überhaupt davon wissen, und die sich dann durch Ereignisse zeigen, die uns förmlich darauf stoßen. Ich durfte aber auch erleben, was geschieht, wenn diese Traumen erlaubt, gefühlt und gewandelt werden: Die Kraft, die darin gebunden war, fließt zu uns.

Wie der Weg unseren Ahnen mit dem unseren verwoben ist, und welche Rolle wir darin spielen
Unsere Ahnen sind den Weg vor uns gegangen. Jede Generation hat ihre Herausforderungen. Jede Generation gibt ihr Bestes. Es ist wichtig, dass wir das verstehen. Denn dann geht es nicht mehr um richtig oder falsch, gut oder schlecht, sondern dann ist mein Bestes für dich vielleicht nicht gut genug. Aber es heißt nicht, dass ich nicht mein Bestes gegeben habe. Denn das ist ein entscheidender Unterschied. Es geht jetzt um Selbstverantwortung und Selbstliebe, das Bewusstsein der neuen Zeit - und speziell für Deutschland um Frieden und die Befreiung von Schuld, in der Anerkennung sowie dem tiefen Verstehen der Umstände unserer Ahnen.

Die Verbindung zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg
Eine Perspektive, die meines Erachtens kaum bis gar nicht verstanden wird, ist, dass die Generation des Zweiten Weltkrieges bereits kriegstraumatisierte Eltern hatte. Sie kamen mit einem Kriegstrauma im Gepäck, und erlebten ein weiteres. Aber nicht nur ein Kriegs-trauma, sondern auch ein Schuld- und Schamtrauma. Die Schuld für diesen Krieg und die Scham, mitgelaufen und mitgemacht zu haben. Es ist hoffentlich außer Zweifel, dass die Propaganda im Zweiten Weltkrieg ein sehr ausgeklügeltes und wirkungsvolles Werkzeug war, Millionen Menschen in die Irre zu führen.

Der Zweite Weltkrieg und der Rollentausch
Die Generation des Zweiten Weltkrieges wurde in besonderem Maße gebrochen. Die Männer kamen gar nicht, erst viel später oder traumatisiert aus der Gefangenschaft zurück. Deutschland hat seelisch und physisch eine zerstörerische Niederlage erlebt. Es fand ein Rollentausch statt, die Frauen traten in die Männerrolle. Glaubenssätze wie: "Ich muss stark sein. Ich darf nicht anhalten. Ich muss funktionieren.", waren der Treibstoff für die immense Kraft, die die Frauen aufbrachten, dieses Land wieder aufzubauen. Sie nahmen ihre Seelen-Kraft, um zu erschaffen, wobei die weibliche Seelen-Kraft eigentlich das Zentrum der Liebe in der Familie ist. Diese Umkehrung hatte aus meiner Sicht fatale Folgen für alle Nachkommen, zumindest bis zur Generation Z. Denn die Frau hat die schaffende Rolle eingenommen.

Glaubenssätze wie: "Auf Männer kannst du dich nicht verlassen. Dann mache ich es besser selbst, bevor ich es meinem Mann überlasse." haben meine Generation (X), auch die vor mir (Babyboomer) und nach mir (Y), tief geprägt. Die Rolle der Frau im Zweiten Weltkrieg war also eine schaffende. Für das Empfangende, Liebende, Nährende war kein Platz. Die Frauen mussten sich von ihren Emotionen abschneiden, um das leisten zu können, um dieses Trauma zu überleben und gleichzeitig in Führung zu gehen. Durch die Fehlleistung wurde das Vertrauen in die eigene Intuition gebrochen. Von nun an galt: Liebe gegen Leistung. "Wenn ich leiste werde ich geliebt. Ich muss perfekt sein, dann werde ich geliebt." Mit Liebe hat das nichts zu tun. Deshalb sind wir Nachkommen bis zur Generation Z mit wenig Liebe und Zuwendung aufgewachsen. Wir wurden nicht gesehen in unserer Liebe, in unserem ureigenen Ausdruck unseres Wesens. Vielmehr war unsere Lebendigkeit nicht erwünscht. Sie wurde oft im Keim erstickt. Denn mit unserer Lebendigkeit haben wir die Gefühle angerührt. Und die mussten unter Verschluss gehalten werden, weil sonst für unsere Mütter alles auseinandergefallen wäre.
Noch heute treffe ich Frauen, die genau das sagen: "Ich habe das Gefühl nicht anhalten zu dürfen. Wenn ich nicht leiste, dann fällt alles zusammen". Dieses Denken setzt sich fort, bis eine die Kette unterbricht, die Gefühle erlaubt und vergibt, was allen vor ihr nicht möglich war.

Wie unser inneres Kind damit verbunden ist
Sich geliebt, gesehen und anerkannt zu fühlen sind Grundbedürfnisse eines Menschen. Dafür war kein Platz. Wer dazugehören wollte musste funktionieren. Auch wir Kinder. Weil wir als Kind darauf angewiesen sind, Liebe, Zuwendung und Grundversorgung zu erhalten, werden wir alles tun. Es ist ein in uns angelegter Überlebenstrieb, für unsere Bedürfnisse zu sorgen, notfalls auch dann, wenn es bedeutet, uns selbst, unsere wahre Natur, zu verleugnen. So wurden wir Kinder und die nachfolgenden unsere nachfolgenden Töchter mit dem Gefühl ins Leben geschickt, dass wir so, wie wir sind, nicht richtig sind. Dass wir uns anstrengen müssen, um Liebe und Anerkennung zu erhalten. Dass wir perfekt sein müssen, um geliebt zu werden. Dass wir etwas falsch gemacht haben. Der tragende Glaubenssatz für den Zweiten Weltkrieg war: Ich habe etwas falsch gemacht.

Was passierte mit den Emotionen der Frauen?
Die Frauen leugneten ihre überwältigenden Gefühle von Angst, Wut, Demütigung (durch Missbrauchserfahrungen, wie auch schon im Ersten Weltkrieg), das Gefühl, sich nicht entsprechend ihrer Anlagen entfalten zu können, sondern funktionieren zu müssen, keine Selbstbestimmung zu haben, das Gefühl für alles alleine verantwortlich zu sein. Wo sind sie also hingegangen diese Gefühle, die nicht gefühlt wurden? Sie wurden an die Töchter, Enkelinnen und Urenkelinnen weitergereicht - unreflektiert, ungefühlt, unbewusst. Die Generation Babyboomer, X, Y ist mit dem Gefühl aufgewachsen, nicht liebenswert zu sein. Etwas falsch gemacht zu haben. Ganz egal wie sehr man sich anstrengt, man ist nicht genug. Das Gefühl von emotionaler Kälte von Müttern, die mitunter verbittert waren, keinen Zugang zu ihren Emotionen hatten. Meist zu viele Kinder, aber auch eine immense Scham was Sexualität anging, und Alkoholsucht war nicht selten Alltag.

Die Fehlleistung und ihre Kompensation
Aus einer Fehlleistung im Zweiten Weltkrieg, aus der Schmach und der Fehlleitung wurde eine Tugend, der deutsche Perfektionismus, eng verknüpft mit dem Glaubenssatz: Ich darf keine Fehler machen. So hat Deutschland in nur wenigen Jahren das Wirtschaftswunder hervorgebracht, gewann sein Ansehen über die Leistung und die perfekte Ware zurück. Aber was wir dafür aufgeben mussten war nichts Geringeres als unsere Liebe, die Verbindung zu unseren Emotionen und damit die Verbindung zu unserer Seele. Deutschland hat seine Frauen und diese ihre Weiblichkeit an den Wiederaufbau des Landes verloren - das, was Weiblichkeit ist: Empfangen, Lieben, Fühlen und Wärme schenken, und damit das Herz der Familie, das die Mutter ist. Das zerstörte unser Selbstverständnis. Wir kamen mit unserer Liebe und kindlich verspielten Unschuld auf die Welt und prallten auf eine Wand aus Schuld, Scham, Traumata, ungelösten, angestauten, ungefühlten Emotionen. Nicht wenige hatten das Gefühl, nicht willkommen und nicht gewollt zu sein.

Welche Auswirkungen zeigen sich heute?
Wir registrieren einen Höchststand in Depression, einen enormen Anstieg an Burnout-Patienten. Die Frauen des Zweiten Weltkrieges und die der Nachkriegszeit, hatten kein Burnout. Körperliche Erschöpfung zeigt sich vor allem bei den Babyboomern und Folgenden. Diese Erschöpfung ist eben eine ältere, die sich mit dem Gefühl, Liebe und Anerkennung nur für Leistung zu erhalten, vermischt. Dieser toxische Cocktail führt zum Ausbrennen, weil das tiefe Gefühl, nicht genug zu sein, egal wie sehr man sich anstrengt, tief am Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen nagt. Trotz all der Selbstbestimmung die im Außen da ist, fehlt die Verbindung zu sich selbst im Inneren - das Gefühl zu haben, nicht für sich selbst sorgen zu dürfen, sich selbst nicht liebevoll an die Hand nehmen zu dürfen, stattdessen perfekt sein zu müssen und zu funktionieren, ein Problem damit zu haben, Schwäche zu zeigen, die eigenen Emotionen zu erlauben.
So vielen Frauen in Deutschland fehlt die Verbindung zu sich selbst. Sie können wunderbar für andere funktionieren, aber für sich selbst fürsorglich da zu sein, gelingt nur wenigen. Da ist diese gefühlte Wand im eigenen Herzen, die man nicht überwinden kann. Diese Wand ist das transgenerationale Trauma der Frauen des Ersten und des Zweiten Weltkrieges, die weitergegeben wurden. Alles ist mit allem verbunden, und es geht nicht weg, bis es anerkannt, gesehen und gefühlt wird.

Anerkennung und Würdigung
Unseren Ahninnen, insbesondere der Generation aus den beiden Weltkriegen, war es aufgrund ihrer Erlebnisse nicht möglich, diese Themen zu reflektieren und zu bearbeiten. Die Überforderung war so groß, dass die Verbindung zum Gefühl abgeschnitten werden musste, um zu überleben. Würdigen wir diese Schicksale und erkennen wir an, dass uns dadurch eine Liebe verwehrt blieb, die wir verdient hätten. Erkennen wir an, dass diese Traumata an uns weitergegeben wurden, damit WIR sie lösen, weil wir den nötigen Abstand zu ihnen haben. Unsere Bereitschaft zu vergeben und zu fühlen bringt den Seelenfrieden, dessen die Generationen vor uns beraubt wurden. Unsere Aufgabe ist, wenn wir sie annehmen wollen, durch die Heilung der transgenerationalen Traumata und deren Folgen für unser inneres Kind und damit für unsere Gesellschaft die Verbindung in unserem Herzen wiederherzustellen und nicht mehr darauf zu warten, dass sich unsere Eltern entschuldigen oder ihr Handeln wiedergutmachen, sondern in uns die Liebe und die Bereitschaft finden, zu vergeben, was ihnen nicht möglich war. Hierbei kommt, aus meiner Sicht, den Frauen heute eine ganz besondere Rolle zu, weil wir die Fähigkeit besitzen, tief zu fühlen und zu lieben, und diese Gabe, dieses Geschenk der Weiblichkeit, bringt den Frieden.

Ich lebe das seit vielen Jahren für meine Ahnenreihen und begleite es auch. Es ist zutiefst berührend, was möglich ist in der Bereitschaft zu fühlen, aber auch in der Anerkennung und Würdigung des Schicksals der Ahnen. Selbstverantwortung und Selbstliebe sind der Schlüssel. Mein Verständnis von Friedensarbeit ist, es uns wert zu sein, Liebe und Frieden nicht nur für uns selbst, sondern für alle vor und nach uns zu bringen, und Gefühle zu erlauben, die Liebe wieder fließen zu lassen.


Alexandra Clara Giray arbeitet als Medium, Bewusstseins-Coach und Mentorin. Seit 14 Jahren begleitet sie Frauen in ihre Seelenkraft und Seelenaufgabe. Mehr Infos unter: www.alexandraclaragiray.com

Hinweis zum Artikelbild: © wetzkaz – AdobeStock



Zwischen Bindung und Befreiung ... Yvonne Wöbcke

Wenn der Besuch bei der Mutter zur Herausforderung wird
In dunklen Jahreszeiten, besonders in der Weihnachtszeit, wird in uns das Bedürfnis nach Geborgenheit, Wärme und Licht stärker denn je geweckt. Ist ein Besuch bei den Eltern geplant, heißt es auch, die vertrauten Räume der Kindheit zu betreten. Genau hier beginnt für viele von uns ein innerer Spannungsbogen. Der Besuch bei der Mutter kann ebenso das Wiedersehen mit alten Mustern bedeuten. Die Gespräche rufen oft ungewollte Emotionen hervor und das Gefühl, immer wieder in eine alte Rolle zurückzufallen. Manche fühlen sich sogar von vornherein unwohl, als wäre der Besuch eine Pflicht. Die eigenen Bedürfnisse nach Ruhe und Abstand werden dabei verdrängt. Warum kann der Besuch bei der Mutter schwierig sein? Und wie können wir uns auf eine Begegnung vorbereiten, die uns erlaubt, als erwachsene Menschen auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden?

Die Dynamik der Mutter-Kind-Beziehung verstehen und den Weg in die Selbstständigkeit finden
Im Kern dieser oftmals schwierigen Beziehung steht eine unsichtbare Verbindung: die feinstoffliche Nabelschnur, die Mutter und Kind noch lange nach der physischen Geburt verbindet. Auch wenn das Kind längst erwachsen ist, kann diese Verbindung fortbestehen. Viele von uns spüren diese Abhängigkeiten besonders deutlich, wenn wir uns der Mutter nähern. Sie kann uns davon abhalten, unser eigenes Leben in Freiheit zu gestalten, weil wir auf unbewusster Ebene weiterhin die Bestätigung der Mutter suchen.
Diese Bestätigung ist aus meiner Erfahrung der Segen, den eine Mutter für ihr Kind empfängt. Das sind zarte, intuitive Impulse von der Seele, die sie für ihr Kind wahrnimmt. Sie weiß aus dem Verstand heraus nicht, wen sie da eigentlich in die Welt bringt. Durch die seelischen Informationen kann sie wahrnehmen, dass das, was bei dem Kind los ist, genau richtig ist. Das spürt das Kind. Zudem kann die Mutter dank dieser Impulse stärkende Worte finden, wenn das Kind eine Rückmeldung braucht. Dann spricht die Mutter ihrem Kind seinen Segen aus.
Und mit jedem Schritt in die Selbstständigkeit erhält das Kind den Segen der Mutter. Diese Erkennt-nisse stärken das Kind und helfen ihm, selbstbewusst über die Schwelle in sein eigenes Leben zu tre-ten. Das sind deutliche Bestätigungen, so dass das Kind merkt, dass die Hinweise übereinstimmen mit dem, wie es sich selbst intuitiv erlebt.
Doch in der lauten Welt der äußeren Informationsflut überhört die Mutter die leisen Impulse. Sie werden überlagert von ihren eigenen Ängsten, Sorgen und ungelösten Themen. Sie mag spüren, dass das, was ihr Kind gerade durchlebt, genau richtig ist. Aber gleichzeitig kämpft sie in ihren Gedanken und Gefühlen mit ihren eigenen Themen. Diese Vermischung aus äußeren Einflüssen, eigenen ungelösten Konflikten und den spirituellen Botschaften, die sie für ihr Kind bekommt, führt zu einem inneren Chaos. Sie will ihrem Kind etwas mit auf den Weg geben, doch sie findet die wesentlichen Worte nicht.
Das Kind, das mittlerweile erwachsen ist, spürt diese Diskrepanz. Es fühlt sich nicht gesehen, nicht wirklich in seiner Essenz wahrgenommen. Und so beginnt es, nach Aufmerksamkeit zu rufen und fordert etwas ein, das ihm fehlt. Es sucht weiterhin nach einer Bestätigung, nach einem Segen, der ihm erlaubt, sich vollständig von der Mutter zu lösen und in sein eigenes Leben zu treten.
Gleichzeitig steht die Mutter in einem ähnlichen Spannungsfeld: Sie will gehört werden, doch ihre Worte klingen leer oder deplatziert. Sie redet über Belangloses oder greift auf alte Geschichten zurück, weil sie vielleicht selbst nicht mehr spürt, was wirklich wichtig ist. Mutter und Kind kommen nicht aus ihrer Rolle heraus. Die Mutter, die immer noch umsorgt und nicht loslassen kann, und das Kind, das immer noch festhält und nach Bestätigung sucht, sind gefangen in alten Mustern.
Für das Kind bedeutete diese Verbindung in den frühen Jahren Sicherheit und Versorgung. Um diese Versorgung zu sichern, ordnete es sich unter und trug energetischen Ballast der Mutter. Durch die Entlastung hatte die Mutter Kapazität frei, um sich um ihr Kind zu kümmern. Ihre eigenen Themen konnte sie so vorübergehend beiseitelegen. Diese symbiotische Beziehung war eine Notwendigkeit, damit das Kind überleben konnte, und sie ermöglichte der Mutter, ihre Rolle vollständig auszufüllen. Werden die alten Verbindungen nicht gekappt und der Mutter der Ballast nicht nach und nach zurückgegeben, damit sie sich ihren Themen stellen kann, wird diese Symbiose mit dem Erwachsenwerden zunehmend zur Last.
Es ist ein feines Spiel von Loslassen und Bestätigen, von der inneren Erlaubnis, die sowohl das Kind als auch die Mutter sich selbst und einander geben müssen. Erst wenn beide diese unsichtbaren Fäden durchtrennen, kann Raum entstehen - Raum für Begegnung auf Augenhöhe, für ein Erwachsensein, das nicht länger von alten Abhängigkeiten bestimmt ist.

Wie Loslösung zu schaffen ist
Der Schlüssel zu einer erwachsenen Haltung ist, die Mutter und sich als jeweils als eigenständige und selbstverantwortliche Entitäten zu sehen. Damit wechselt man in eine höhere Perspektive und bleibt bei sich, statt in kindliche Gefühle zu rutschen. Dieser innere Abstand kann sich zuerst einsam und kalt anfühlen. Doch diese Leere braucht es, damit wir in Kontakt mit uns selber kommen. Es liegt an uns, Raum für die Impulse und Ideen zu lassen, die uns mit uns selbst in tiefere Verbindung bringen. Der Mensch ist meiner Wahrnehmung nach nicht nur feststofflicher Natur mit Körper, Gedanken und Gefühlen. Seele und Geist sind ebenso vorhanden und schicken Informationen. Inkarnation ist ein laufender Prozess, und das Bewusstsein für diese zarten Impulse kann sich dabei entwickeln. Der Clou ist, sich selbst ganz egoistisch anzunehmen. Dann folgt das Außen. Die bloße Suche nach Harmonie ist oberflächlich und steht den tiefgreifenden Entwicklungsprozessen im Weg. Doch es braucht eine tiefgreifende, innere Entwicklung, um mit sich in den Frieden zu kommen. Das Außen folgt.
Die Annahme von sich und der Mutter als eigenständig und selbstverantwortlich bedeutet auch, dass man die Mutter so lässt, wie sie ist. Häufig neigen wir dazu, für andere mitzudenken. Wir glauben zu wissen, was für die Mutter gut ist. Dabei wissen wir nur aus eigener aus Erfahrung, was uns gut tut. Daraus kann man nicht auf andere Menschen schließen.
Es hilft auch keine schauspielerische Leistung, also so zu tun, als wäre es interessant, wenn die Mutter immer wieder die gleichen Geschichten erzählt. Oder bejahend zu nicken, nur damit sie schnell mit ihren Tipps zum Leben der anderen durch ist. Das sind im Grunde ihre Themen, die sie den Kindern aufbürdet. Solange der Ballast von anderen getragen wird, hat sie keinen vollen Zugang dazu, kann sie sich ihren Themen nicht voll stellen. Daher ist es - auch grundsätzlich - wichtig im Zusammensein, nicht für andere die Verantwortung zu tragen. Das bringt sonst aus der eigenen Mitte zurück in die kindliche Rolle.
Manche Beziehungen sind ganz schwer sofort für beide Seiten zu klären. Das ist der Fall, wenn die Mutter nicht dazu in der Lage ist, ihre Rolle loszulassen. Sie mag dafür ihre triftigen Gründe haben. Es würde ja bedeuten, dass sie sich mit ihren Themen wieder auseinandersetzen kann. Es kann sein, dass sie das innerlich ablehnt oder auch aufgrund des Alters nicht mehr die mentale Flexibilität besitzt. Manchmal braucht es einfach zeitlichen und räumlichen Abstand. Dann kann das erwachsene Kind sich guten Gewissens auf den eigenen Weg begeben. Hat es sich gefunden und ist innerlich gestärkt, kann es zu einem späteren Zeitpunkt die Mutter wieder besuchen.
Eine weitere Möglichkeit ist, sich seine Themen nicht nur in der Körperebene, der feststofflichen Ebene, von seinen Mitmenschen wie der Mutter spiegeln zu lassen. Über Menschen, die die Fähigkeit haben, sich mit der Seele zu verbinden und ihre feinstofflichen Informationen ins Sprachliche zu übersetzen, kann eine andere Perspektive eingenommen werden. Diese Sichtweise ermöglicht die Betrachtung der Dinge in einem größeren Kontext.
Doch wie macht sich bemerkbar, dass der Schritt aus der symbiotischen Kind-Mutter-Beziehung in ein erwachsenes Miteinander vollzogen wurde?

Von der Pflicht zur Kür
In dem Moment, in dem die Mutter beginnt, sich für das Leben ihres erwachsenen Kindes zu interessieren - nicht mehr aus der Perspektive der mütterlichen Pflichterfüllung, sondern als Zeugin seines eigenständigen Lebenswegs - vollzieht sich auch beim Kind ein Wandel. Es nimmt seine Mutter nicht mehr aus einer kindlichen Abhängigkeit und als vorübergehender Träger des Ballastes wahr, sondern begegnet ihr auf Augenhöhe. Dieser erwachsene Austausch hebt die Beziehung auf eine neue Qualität, fern von alten Mustern und symbiotischen Verstrickungen.
Mit innerer Reife kann das erwachsene Kind seiner Mutter mit einer wohlwollenden, einladenden Kommunikation begegnen, die Raum lässt für das, was es Neues in die Welt bringt. Die Rebellion mit den Wortgefechten in der Jugend, ob sie stattfand oder nicht, beides hat individuell seinen Sinn - half, die nötige Distanz zur Mutter zu schaffen. Doch in der erwachsenen, inneren Haltung braucht es diesen Widerstand nicht mehr. Jetzt kann das Kind die Mutter einladen, das Neue in seinem Leben wahrzunehmen und sich daran zu erfreuen. Wenn der Dialog von Offenheit und gegenseitigem Respekt geprägt ist, können beide aufblühen, und das nicht nur zum Weihnachtsfest.


Yvonne Wöbcke ist Expertin für die Kind-Mutter-Kommunikation. Mit ihrer Gabe Muttersegen kann sie sowohl die feinstoffliche Kind-Mutter-Kommunikation wahrnehmen als auch die seelischen Informationen. Diese Einsichten ermöglichen, die feinstofflichen Verstrickungen zu erkennen, die in der Zeit der Abhängigkeit vor und nach der Geburt entstehen. Als Coach begleitet sie mit Menschen auf dem Weg zur emotionalen Freiheit, wobei der Fokus auf der Beziehung zur Mutter liegt. Weitere Infos unter www.muttersegen.de

Hinweis zum Artikelbild: © JenkoAtaman – AdobeStock



Das Geheimnis wahrer Versöhnung ... von Uwe Rapp

Zuerst du und dann ich
Ist es wahr, dass es mich und den Anderen zur Versöhnung braucht, mit der Bedingung, dass er seine Schuld anerkennt und zu sühnen bereit ist, damit ich verzeihen und vergeben kann? Das würde bedeuten, die Versöhnung ist abhängig von der Einsicht und dem Verhalten des anderen. Er muss seine Schuld bekennen, sonst bekommt er keine Gnade. In dieser fordernden Haltung verlange ich etwas vom anderen, um mit ihm versöhnt zu sein. Kann so wahre Versöhnung geschehen?

Versöhnt sein oder zufrieden sein
Zufriedenheit ist immer an Bedingungen geknüpft. Sind diese nicht oder nur teilweise erfüllt, bin ich unzufrieden. Ich bin abhängig von Umständen, die sich erst in meinem Sinne verändern müssen. Für den Frieden zwischen zwei (oder mehreren) Menschen oder Parteien sind äußere Umstände entscheidend. Doch hält er nur so lange an, wie die dazu ausgehandelten Abmachungen oder Verträge erfüllt sind und eingehalten werden. Der Frieden dazwischen ist unsicher, die Harmonie ist unbeständig, da Verträge und Absprachen sich wieder ändern können und oft auch nicht eingehalten werden. Der Frieden zwischen mir und einem anderen ist somit eine Illusion. Wie kann ich in eine Versöhnung, ein In-Frieden-versöhnt-sein finden, wenn ich keinen Einfluss auf die äußeren Bedingungen habe?

Im Schmerz der Vergessenheit
Der Wunsch nach Versöhnung mit jemandem, indem sich der andere ändert, ist in seiner Bedürftigkeit und der Unsicherheit, ob es bleibend gelingt, sehr schmerzlich. Ich bin angespannt und stehe unter Druck. Ist der Schmerz nicht als Wecker anerkannt, beschuldige ich mich oder den anderen für die fehlende Versöhnung. Um den Schmerz nicht zu fühlen, halte ich ihn mit scheinbar aufwertenden Ablenkungen wie beispielsweise leckerem Essen, unterhaltenden Filmen, Musik hören, mit Freunden sein … unten, bis er sich wieder durch eine neue Situation meldet. Wenn ich erkenne, dass es immer ein Gedanke ist, der das schmerzliche Gefühl im Gepäck hat, kann ich hinterfragen, ob es wahr ist, was ich da denke. Das schmerzliche Gefühl ist der Hinweis, nach innen zu schauen. Wo kann ich das nach außen Projizierte in mir finden, wo bin ich das? In der Vergessenheit des Gedankens "Ich brauche dich zur Versöhnung" liegt die Umkehr zu mir schon parat: "Ich brauche (nur) mich zur Versöhnung, zum Versöhnt-sein." Wenn klar ist, dass nicht jemand da draußen mir etwas antut oder vorbehält, sondern ich es bin, der es bereits vorher schon tut, ist die Umkehr zur Selbstverantwortung vollzogen. Es kommt Licht ins Dunkel. Ich übernehme die Verantwortung für meine Projektion und erkenne den von mir als schuldig benannten Verletzer als das nach außen projizierte Ergebnis fehlender Selbsterkenntnis an und finde in der Umkehr inneren Frieden, Versöhnt-sein.

Der unbewusste Will-i in mir
Wenn ich denke, "mein Chef sollte in einem anderen Ton mit mir reden", oder "ich brauche Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Anerkennung von meiner Partnerin" oder "das Leben sollte anders sein, als es ist", sind dies "Ich will"-Forderungen an das Leben, so, wie ich es gerne hätte. Eigenwillig diktiere ich dem Leben, wie es sein soll und verachte damit, wie es sich gerade zeigt. Hier bin ich weit entfernt davon, versöhnt zu sein, da ich mich gegen die Wirklichkeit stemme, in dem Verlangen, meine Bedürfnisse abgesichert zu bekommen. Es ist nicht das Leben, wie es sich abspielt, was mich unzufrieden macht, sondern wie ich es bewertend bedenke und anders haben will. Der ungeprüfte Gedanke ist es, der als Echo Unfrieden in mir erzeugt. Das zu erkennen ist groß, wenn ich bereit bin, die Verantwortung dafür zu übernehmen.

Ich bin das
Was ich also gedanklich heraus projiziere auf den Chef, die Partnerin oder auf das Leben, spiegelt mir in der Umkehr, welche Gedankenurteile ich über mich selbst habe. Es ist in mir und hat dort seinen Ursprung. Die Projektion, der bewertende Fingerzeig nach draußen, ist erstmal richtig. Doch nicht als feststehende Urteile, sondern damit ich mich im Spiegel selbst als das erkennen kann. Ich übernehme Verantwortung für mein Denken und kann so den Kontakt zu dem vermeintlich Feindlichen zulassen, denn jetzt ist klar, es ist lediglich ein Spiegel von mir - ich bin das. Dem Wunsch nach sanfter Behandlung durch den Chef liegt die unsanfte Behandlung, die ich mir selbst zukommen lasse, zugrunde, wie in dem Gedanken: "Ich bin falsch, wertlos, nicht gut genug". So tönt es unbewusst in mir. Meine Interpretation des Tones, in dem der Chef zu mir spricht, spiegelt mir das selbstzerstörerische "laute" Denken über mich selbst. Ist das nicht erkannt, bleibe ich beschuldigend an der Person Chef hängen und bewerte ihn als falsch, ungerecht. Ebenso der kindlich fordernde Wunsch nach Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Anerkennung durch die Partnerin (durch andere Personen austauschbar) spiegelt mir die Fehlstelle, selbst nicht die Wertschätzung für mein Dasein, für das Leben aufzubringen.

Der Bezug zur Wahrheit
Auch wenn nun klar ist, dass das Außen mir lediglich zurückspiegelt, was ich über mich selbst denkend aussende, befreit es mich nicht von dem Schmerz einer möglichen Selbstbeschuldigung, wie: "Ich bin falsch. Ich bin wertlos. Ich bin nicht gut genug." Es sind schmerzverursachende Gedanken, die sich selbstzerstörerisch in mir auswirken, wenn ich ihnen Glauben schenke. Doch jedem Gedanken ist auch die Umkehrung und somit die Auflösung vom Schmerz mitgegeben. Im Aussprechen der Umkehrung "Ich bin richtig, wertvoll und gut." und näher noch "Das Leben, das ich bin, ist richtig, wertvoll und gut." gehe ich in Resonanz mit dem wahren Wesen, dass ich bin, wo es ruhig und friedlich ist und eine freiatmende Leichtigkeit da ist. Mit dem Einblenden der Umkehr bin ich mit meiner Aufmerksamkeit auf die Wahrheit bezogen, dort wo absolute Richtigkeit und Gutsein ist. Der mich selbst abwertende Gedanke bekommt keine Energie mehr und ist damit aufgelöst. In diesem neuen Bewusstsein ist klar: Schuld hat es nie gegeben, denn der Schuld-Gedanke selbst ist das Missverständnis.

Die neue Sicht
In dieser Erkenntnis geschieht Verwandlung und Auflösung von Härte, Verschlossenheit, Stolz, Besserwisserei, Sturheit, Eitelkeit, Neid und Überheblichkeit. Wo ich vorher noch ablehnend und verschlossen war, geschieht aus dieser neuen Sicht heraus die Annahme und Hingabe an das Leben, wie es hier und jetzt ist. Ich wertschätze die Wirklichkeit, so wie sie ist in ihrer Gleichwertigkeit und überbewerte nicht länger das, was mir gefällt oder nicht gefällt. Ohne den Eigenwillen "Ich will es anders haben, als es ist" bin ich im Einklang mit dem Leben, wie es sich gerade zeigt. Die Ahnung wird wach, Leben in der Ganzheit all seiner Aspekte selbst zu sein, und nicht ein durch den Eigenwillen eingeschränktes, separiert-kleingeistiges, vom Leben getrenntes Wesen.

Die Umkehr - Leichtigkeit des Seins
Ausgehend von dem die Trennung erzeugenden Ur-Gedanken "Ich" und der damit gekoppelten Bewertung als etwas, was nicht ausreicht, weil das Ich in seiner Personifizierung zu klein, zu eng ist, um das Ganze zu sein, ist es der Urschmerz des Menschen, sich nur noch als ein Fragment wahrzunehmen, und er leidet darunter. Die ungeprüfte Überzeugung ein Ich zu sein, erschafft mich eng und schwer als ein scheinbarer Körper. Im Einblenden der Wahrheit ist es leicht und weit; ohne "ich" im m-ich bleibt nur ein sanftes "mmm" übrig. Im Sprechen der Umkehr löst sich das Ich auf und Liebe nimmt resonierend den Raum ein. Es ist Selbst-Liebe. Die Klarheit, dass mir niemand etwas schuldig ist, weil die Schuld in Bezug auf die Wahrheit durch die Umkehr in mir selbst getilgt ist - ist Versöhnt-sein, ist Liebe sein. ICH BIN - versöhnt mit Allem. Der Wunsch nach einem Frieden zwischen mir und dir - zwischen zwei Polen - ist als eine Illusion erkannt. Die Suche nach Frieden durch Versöhnung hört auf. Im Bewusstsein der Vollkommenheit verkörpert sich durch mich die Präsenz friedvollen Seins als urgründige Liebe. Sie ist unverursacht und bedingungslos schon immer da gewesen.


Uwe Rapp ist Coach und Autor in der Geistreich-Bewusstseins-Schule – von Mai bis Oktober in 14554 Seddiner See – oder ganzjährig per Skype. Weitere Infos auf der Webseite der Geistreich-BewusstseinsSchule: www.geistreich-sein.de

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Zurück ins Leben finden – von Sandra Stelzner-Mürköster (ein Buchauszug)

Der eigenen Intuition vertrauen
Kurz nach dem plötzlichen Tod meines Mannes fand ich mich in einem schrecklichen Zustand tiefster Angst wieder. Ich spürte, dass hinter dem Wort "Tod" mehr steckte als der Übergang ins Nichts, hatte aber das Gefühl, dass mein Mann noch irgendwie da war. Das jagte mir zusätzlich Angst ein, da ich nicht genug über ein Leben nach dem Tod wusste. Getrieben von dieser Angst konnte ich kaum schlafen. Unseren kleinen Sohn versorgte ich wohl oft schlafwandelnd, da ich mich kaum traute, nachts über unseren dunklen, langen Flur zu seinem Schlafzimmer zu laufen. Jeder wahrnehmbare Windhauch,
jedes Knacken erschrak mich. Jeder Schritt war eine Qual und in meinem Schlafzimmer wieder angekommen, versteckte ich mich oft unter der Decke, nur in der Lage, mit einem kleinen Teelicht zu schlafen. Ich funktionierte wie eine Maschine, ferngesteuert, ums Überleben kämpfend und wie eine Löwenmutter, die sich schützend vor ihr Junges legt. Dies war wohl die bisher schlimmste Zeit meines Lebens, nahe am Wahnsinn; ich hatte den Glauben und den Mut verloren, dass sich dieser chaotische Zustand je wieder ändern würde.
Das Einzige, was mir Kraft und einen gewissen Halt gab, war unser Sohn. Er war auch der Einzige, der in mir noch ein positives Gefühl hervorrufen konnte. Und es ist reine Spekulation, aber ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn dieses große Band der Liebe zu diesem kleinen Wesen nicht bestanden hätte. Mit seiner Unbekümmertheit und seiner tiefen Liebe zu mir, holte er mich aus so manch tiefem Tal. Diese Zeit der notwendigen Neuorientierung war so unsagbar schwer und trotzdem spürte ich immer wieder, dass ich mich nicht nur meinen Ängsten und meinem Schmerz stellen musste, sondern vor allem auch, dass ich meiner Intuition trauen konnte.
Ich musste einige Entscheidungen treffen und für uns kämpfen, für unser Leben, für eine Neuausrichtung, so wie ich sie mir und für uns wünschte. Wenn ich darauf zurückblicke, bin ich zutiefst erstaunt, wieviel Kraft in mir steckte, um so viele Schritte zu gehen, zu kämpfen und ein Ziel zu haben: Ich wollte ein selbstbestimmtes Leben für meinen Sohn und mich, indem ich wieder die Kontrolle bekam über unser Leben, unser Zuhause und unsere Zukunft.
Nach dem anfänglichen Schock, der mich zurück nach Köln, zu meinen Eltern führte, fand dort auch die Beerdigung meines Mannes statt. Gleichzeitig spürte ich ganz deutlich, dass ich wieder zurück nach Hause in unsere Wohnung nach Oberbayern wollte. Ich vertraute diesem Gefühl und ließ mich nicht von der Angst verführen, den vermeintlich einfacheren Weg zu gehen und in Köln bei meinen Eltern zu bleiben. Das, was mir sehr bewusst war, war, dass mir mein Leben zwar genommen wurde, so wie ich es mir damals gewünscht hatte: Doch, was ich mir nicht nehmen lassen wollte, war mein Zuhause, der Ort, an dem ich mich wohlfühlte.
Getragen von diesem Entschluss fuhren wir nach ein paar Wochen wieder nach Hause, ohne einen richtigen Plan, wie es weitergehen sollte. Trotz allem vertraute ich meiner inneren Stimme, und es sprühte in mir ein kleiner Funken Freude, als wir wieder nach Hause fuhren. Natürlich in dem Bewusstsein, dass "unsere" Wohnung so viele Erinnerungen trug, die mich hoffen ließen, meinem Mann wieder näherzukommen. Trotz meines Empfindens, richtig gehandelt zu haben, fühlte sich das Zuhause jedoch fremd an. Es galt nun, die Leere in mir zu füllen - mit neuen Erinnerungen, mit einem neuen Leben. Es folgten allerdings erst einmal viele Dinge, die einer nicht enden wollenden Berg- und Talfahrt glichen.
Die Tage zogen sich mitunter wie Kaugummi, und ich war sehr oft froh, einen Tag überhaupt überlebt zu haben. Immer wieder auf der Suche nach Ruhe und Halt, nach etwas Vertrautem in meinem Inneren, rang ich im Außen mit Fragen wie: Wie können wir die Wohnung weiter finanzieren? Zahlt die Risikolebensversicherung? Wie geht es mit den Firmen meines Mannes weiter? Wie schaffe ich es, dass endlich Ruhe einkehrt und nicht täglich neue Hiobsbotschaften folgen, etwa die Klärung des Erbscheins, damit ich handlungsfähig wurde? Ich funktionierte wie ein Roboter, der Papierberge abarbeitete, neben meinem Job als Gymnasiallehrerin in Starnberg und alles in steter Sorge, unserem Sohn gerecht zu werden, der meine Trauer natürlich hautnah mitbekam. Auch wenn er nicht verstand, was um ihn herum passierte - in all diesem Chaos, in dessen Folge ich immer "weniger" wurde, auch wenn es gelegentlich Lichtmomente mit meinem Sohn gab. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass die Endlichkeit unseres Lebens nicht alles sein kann, sondern dahinter noch viel mehr steckt.

Zeichen sehen
Es mag sich für dich vielleicht komisch anhören, aber ich bin der festen Überzeugung, dass es Zeichen gibt, die uns das Leben, das Universum schickt, damit wir Dinge erkennen und uns leichter entscheiden können. So träumte ich eines Nachts von meinem Mann - ein Traum, den ich auch heute noch in vollem Bewusstsein abrufen kann. In diesem begegneten wir uns auf einer anderen Ebene. Wir trugen tiefblaue Gewänder und lagen auf einem Bett, das ebenso tiefblau bezogen war. Wenn ich es heute beschreibe, sehe ich eine Art Himmelbett mit wehenden blauen Laken. Das Essenzielle an dieser Begegnung jedoch war, dass er mich in den Armen hielt: Ich spürte seine Liebe, seine Kraft und einfach seine Präsenz - sein Sein. Das war mein Mann, so wie ich ihn kannte, so wie er da war; er war nicht einfach weg. Seine Liebe war nach wie vor da und in diesem Moment war ich sehr erfüllt. Körperlich drückte sich diese Begegnung so aus, dass ich mich wohl und geborgen in seinen Armen fühlte. Etwas, das mir abhandengekommen war, weil ich körperliche Berührungen zu dieser Zeit kaum ertragen konnte. Natürlich war das Aufwachen umso ernüchternder. Gleichzeitig legte diese Begegnung in mir einen Grundstein, solchen Visionen vertrauen zu können.
Dieser Traum stärkte mich. Selbst wenn in meinem Leben immer noch großes Chaos herrschte, fiel es mir leichter zu erkennen, dass ich lernen musste, Stück für Stück wieder ins Leben zu finden. Dieses Stück-für-Stück-ins-Leben-Finden war begleitet von vielen Ängsten - buchstäblichen Existenzängsten, die ich auch heute noch hin und wieder erlebe. Doch es passierte etwas Magisches, denn ich wurde zu meiner Herzenslehrerin geführt. Unsere erste Begegnung fand am Telefon statt und ich spürte schon vorher, dass sich etwas Großartiges ereignen würde. Etwas, das mir endlich wieder etwas Frieden und Ruhe bringen würde.

Die geistige Welt bejahen
Es war mein erster Kontakt mit einem Medium und ich war sehr aufgeregt. Diese Herzenslehrerin berichtete mir von den genauen Todesumständen meines Mannes. Das war verblüffend. Denn was passiert war, konnte nirgendwo recherchiert werden. Es musste eine höhere Ebene geben, die für unsere Augen nicht sichtbar ist. Zudem sagte sie mir, dass er mir sehr viele Zeichen schicke, damit ich spüre und wahrnehme, dass er nicht komplett weg sei. Jetzt konnte ich all das, was mir zeitweise Angst gemacht hatte, einschätzen: Umstürzende Bilderrahmen, flackernde Lichter, herabfallende Skihelme, sich aus "heiterem" Himmel einschaltende Radiogeräte und einfach das Gefühl zu haben, dass da jemand ist.
Diese Frau strahlte so viel Ruhe und Liebe aus, dass es mir zu diesem Zeitpunkt endlich etwas besser ging. Das Tor meines Herzens wurde einen Spaltbreit geöffnet, um wieder ein bisschen fühlen zu können. Das Wissen, das sie mir gab, brachte mir ein Stück Heilung und Ruhe. Ich war und bin mir seit diesem Zeitpunkt ganz sicher: Das Leben geht auf einer anderen Ebene weiter, nur unser Körper stirbt: Wir sind unendliche Wesen, die mit der Unendlichkeit verknüpft sind. Diese Erfahrung und Begegnung waren so prägend und entscheidend, dass sie seit diesem Zeitpunkt mein weiteres Leben bestimmen sollten. Es gab kein Zurück mehr für mich. Von nun an sah ich das Leben aus einem anderen Blickwinkel. Ich erkannte: Der Weg, das Leben zu verstehen und anzunehmen, führt über den Tod. Dieser offenbart in uns die Tiefe des Seins - wenn wir bereit sind, diese Wahrheit anzunehmen.

Die Wahrheit hinter der Trauer - die schwierigste Lektion
Die Wahrheit, alles anzunehmen, was uns in unserem Leben begegnet und was uns widerfährt, war eine der schwersten Lektionen meiner Trauerarbeit. Sie rief in mir zunächst eine innere Rebellion hervor. Selbst wenn ich gut annehmen konnte, dass mein Mann nicht einfach weg war, sondern uns weiterhin aus einer anderen Ebene beschützte und behütete, konnte ich den Umstand, dass wir das alles in einer gemeinsamen Abstimmung - einem Seelenplan - geplant hatten, nicht annehmen. Diese Wahrheit war für mich sehr lange sehr schwer greifbar, und es ist eine Wahrheit, der sich wohl viele Menschen bewusst oder unbewusst verschließen. Denn sie impliziert, dass wir Verantwortung für uns übernehmen. Radikal. Und die Frage stellen: Was zeigt mir diese oder jene Situation, und was kann ich daraus lernen? Doch der erste Schmerz, der so groß war, musste erst stückweise in die Heilung geführt werden, um diese Radikalität akzeptieren und annehmen zu können. Der Weg, der dann folgt, ist der, dankbar zu sein für alles, was mir zuteilwird, um innerlich zu wachsen. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, uns nur im Jetzt umzuschauen, sondern den Blick zu weiten und uns als Teil eines großen Ganzen zu verstehen und zu akzeptieren.
Das mag dir im Moment alles als sehr viel und sehr gewaltig vorkommen. Das ist es auch. Tatsächlich ist der Weg der Heilung kein leichter: Er findet in deinem Inneren statt. Es sind viele kleine Schritte, die wir alle zu gehen haben und der Schmerz ist nicht von heute auf morgen ausgestanden. Aber es gibt einen Weg, und wenn du dir immer noch zweifelnd die Frage stellst: Warum ausgerechnet dir das passiert ist, so antworte ich dir: "Weil du die Kraft hast, das zu überstehen! Gott wird dir immer nur so viel zumuten, wie du ertragen kannst!"
Gelegentlich bekomme ich zu hören: "Ja, aber was ist mit denen, die sich aus Verzweiflung das Leben nehmen?" Dazu meine ich: "Im göttlichen Plan ist eine Selbsttötung nie vorgesehen. Nichtsdestotrotz ist der Mensch frei und kann auch frei wählen, ob ihm die Last zu viel wird, die er trägt, weil er im Leben keine Ruhe mehr findet. Gleichzeitig hat er das Vermögen, den Weg der Heilung zu beschreiten. Doch manchmal ist der Geist so verwirrt, dass es der eine oder der andere als seinen einzigen Ausweg ansieht."
Ich ermuntere dich nun ganz bewusst an dieser Stelle, das Leben mit anderen Augen zu betrachten und deinen Horizont zu erweitern. Das ist das, was mir geholfen hat. Doch wie ein Kind, das sich schon einmal verbrannt hat, scheuen wir alle die "Herdplatte" - den Schmerz. Aber allein durch den Schmerz hindurch führt der einzige Weg, der langfristig zur Heilung verhilft. Wenn du denkst, das alleine nicht bewältigen zu können, suche dir professionelle Unterstützung, um dich zu öffnen und die Erfahrungen, die dir das Leben "schenkt", anzunehmen zu können - die guten wie die schlechten:

Inspiration:
Sammle die Edelsteine auf, die schönen wie die hässlichen, die dir der Weg des Lebens schenkt. Sie sind Geschenke der geistigen Welt und der Lohn, den wir mitnehmen dürfen, wenn wir alle nach Hause kehren. Schaue dir die Edelsteine an. Sie sind ein Spiegel, der dir die Schönheit deiner eigenen Seele zeigt. Diese Edelsteine sind Geschenke, die uns auf unserer Abenteuerreise des Lebens begleiten. Sie warten nur darauf, eingesammelt zu werden. Sie warten auf dich - du musst nur glauben, mit den Augen und der Reinheit des Herzens eines Kindes, das lediglich das Gute in uns allen sieht. Sieh das Gute in dir selbst, finde deine Anbindung zu dir selbst, zu deinem göttlichen Kern und du wirst spüren und wissen, welcher Schritt auf dem Weg des Lebens für dich als nächster ansteht!

Buchauszug mit freundlicher Genehmigung vom Gütersloher Verlag.

Buchtipp: Sandra Stelzner-Mürköster: Zurück ins Leben finden. Die Botschaft der Trauer annehmen und wieder Lebensfreude spüren. Gütersloher 4.2024, Paperback , Broschur, 224 Seiten, 20 Euro, ISBN: 978-3-579-07489-4, www.gtvh.de


Sandra Stelzner-Mürköster verlor völlig unerwartet ihren Mann und fiel in das schwarze Loch tiefer Trauer, ein Teil von ihr starb mit. Erst nach und nach begriff sie: Diese Trauer ist eine Botschaft des Lebens an mein eigenes Leben. Sie stellt mich vor eine Aufgabe, der ich nicht ausweichen kann, denn die Veränderung ist radikal und unumkehrbar. Sandra Stelzner-Mürköster nahm die Aufgabe an und fand nicht nur zurück ins Leben, sondern auch zu ihrer Berufung als Trauermentorin. Seitdem unterstützt sie andere Trauernde dabei, ihren individuellen Trauerweg zu gestalten.

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The Power of Love – Der heilige Pfad der 13 Clanmütter... von Thomas Young

Dein Herz will Dich
In der Herzarbeit mit vielen Tausenden von Teilnehmern stellt sich nach dem Erleben wundervoller Referenzerfahrungen, Einweihungen und Durchbrüchen in die weiten Räume der Seele immer wieder eine besondere Frage: Wie können wir den Heiligen Traum der Seele in den Alltag bringen? Deine höchste Vision manifestieren? Wie bringen wir diese in die Welt? Und woher kommt dieser Traum? Ist es das Herz, die Seele, das höhere Selbst oder Gott? Was auch immer es ist, der Ruf wird innen wahrgenommen und es braucht das ganze Vertrauen und den höchsten Mut, diesem Ruf zu folgen. Viele Menschen hören diesen Ruf in ihrem Inneren, trauen sich jedoch nicht ihm zu folgen, denn der Ruf fordert auf, seinem höchsten Schicksal zu folgen. Doch was ist das Höchste Schicksal? Was ist die kraftvollste, meist strahlende Version der eigenen Seele, der wir entgegenwachsen?

Der Menschen Zeit auf dieser Erde ist bemessen. Das Lied der Seele anfangs klar und später halb vergessen.

Das Geschenk der indianischen Ahnen
Ich befinde mich mit einer Gruppe, die sich weit über die Felsen verteilt hat, auf einem Vortex in Arizona, genauer in Sedona. Das Gebiet um Sedona ist heiliges Indianerland und wurde von den dortigen Stämmen so sehr geachtet, dass sie sich dort nicht wohnlich niederließen, sondern es nur für Zeremonien aufsuchten. In und um Sedona gibt es mehrere sogenannte "Vortexe", das heißt Berge oder Orte mit stark spürbaren, energetischen Verwirbelungen, welche zum Teil sogar die Bäume spiralförmig wachsen lassen. Ich bin mehrfach in Arizona gewesen und habe in dieser Gegend jedes Mal tiefe Verwandlungen erfahren. Es ist, als wenn ein Teil von mir dort nach Hause kommt und jeden Strauch und Felsen kennt.

Jetzt sitze ich auf Bell Rock, einem der Vortexe, dem eine männliche Energie zugeschrieben wird, was so viel heißt, dass die wahrnehmbare Energie eher elektrisch ist und von unten nach oben fließt, als magnetisch und von oben nach unten. Ich bin versunken in eine tiefe, erwartungsfreie Meditation. Plötzlich zeigt sich vor meinem inneren Auge ein indianischer Guide, der mir zuvor nur ein einziges Mal innerlich begegnet war, jemand, an den ich in diesem Moment überhaupt nicht dachte. Er hat eine Präsenz, die unmittelbare Aufmerksamkeit einfordert, und ist umgeben von einem weiten Kreis von Medizinleuten. Er tritt auf mich zu, spricht mit mir in einer indianischen Sprache, die ich nicht kenne aber dennoch verstehe, und überreicht mir ein Geschenk. Es ist kein wirkliches Überreichen, sondern das Demonstrieren einer Heilweise durch einen einzigen Tropfen. Der Indianer führt vor, wie ein einziger leuchtender Tropfen durch das Bewusstsein langsam in die Mitte des Kopfes hineinschwebt, und erklärt ausführlich, wie essenziell und wichtig es sei, diesen einen Tropfen schwebend dort zu halten. Dies sei nur dann möglich, wenn man um ihn und den ganzen Kopf herum ein Geistgefäß oder Feld kreiere, das diesen Tropfen dort in der Mitte des Schädels in jener Schwebe halten könne. Ich bin sprachlos, tief berührt und danke ihm von Herzen.

Diese Begegnung war vollkommen unerwartet und extrem tief. Ich lasse sie so lange wie möglich einwirken, bis etwas in mir beginnt, wie von selbst Verbindungen herzustellen. Die Heilweise, die der indianische Guide mich lehrt, erinnert mich an einen Bericht über moderne Nuklearforschung, in dem es darum ging, "saubere" Nukleartechnologie ohne Abfallprodukte zu entwickeln, und zwar durch die Fusion zweier Plasmateilchen, die dabei eine extrem hohe Energie freisetzten. Es gab allerdings kein Material, das die entstehende Hitze hätte aushalten können, was die Forscher jedoch nicht entmutigte, sondern eher anspornte zu versuchen, einen besonderen Raum zu kreieren, eine Art magnetisches Feld, in dem die Fusion stattfinden könnte. Ich bin kein Physiker, und doch empfinde ich die Parallele als frappierend.

Wir alle weben heute einen "Goldenen Faden" weiter. Wenn uns von Mitgliedern der "indigenous people", eingeborener Stämme wie der nordamerikanischen Indianer, eine derart kraftvolle Heilweise übermittelt wird, verbunden mit der Aufforderung, diese zu teilen, so führt dies direkt an die Schwelle unserer herkömmlichen Wahrnehmung. Was ist Wirklichkeit? Wie können wir auf die für uns wahrnehmbaren Ebenen einen segensreichen Einfluss nehmen? Wir befinden uns alle, ob bewusst oder unbewusst, auf einer der abenteuerlichsten Reisen, die der Kosmos zu bieten hat: als Seele in einem fühlenden, atmenden Körper, um diese Erde zu erleben.
Es gibt eine uralte Prophezeiung der Hopi-Indianer, dass in dem Moment, in dem die Erde weint, die Regenbogenkrieger aufstehen und einander erinnern. Woran? An das, was sie sind und warum sie auf diesem Planeten leben. Dieser Moment ist jetzt und was sind die effektiven Werkzeuge, um die Essenz dieser Heilwege fortzuführen?

Jahr der Großen Durchbrüche
Mit dem Wirken und den Lehren von Jamie Sams bin ich seit vielen Jahren vertraut und verehre sie als Heilerin, Lehrerin, Weise Frau, Gründerin verschiedenster Netzwerke, Hüterin indigenen Wissens, Beraterin von Nelson Mandela …, die Aufzählung könnte endlos weitergehen. Sie hat mit den "13 Original Clanmüttern" ein seltenes und großes Juwel erschaffen, welches nicht nur rückverbindet mit höheren Formen weiblicher Weisheit, sondern auch jede und jeden in die höchste Kraft führt. Frauen wie Männer gleichermaßen.
Spiritualität ist Erfahrungswissen und nicht erlesene Lektüre. Die 13 Clanmütter jedoch sind beides. Vor vielen Jahren, zu Beginn meiner Arbeit als Herzlehrer, habe ich selbst einen der größten Entwicklungsschübe meines Lebens erfahren, als ich mich ein ganzes Jahr lang jeden Monat der Kraft und den Stärken der jeweiligen Clanmutter gewidmet habe. Dies war das Jahr der großen Durchbrüche.

13 Schritte in deine höchste Kraft
Jamie Sams ist Mitglied der Wolf Clan Teaching Lodge. Das Material, die Überlieferungen, die Einweihungen und heiligen Wege, die Jamie Sams uns allen zur Verfügung stellt, haben eine Tiefe, die über viele andere Teachings weit hinausgeht. Sie sind das Werk einer Großen Seele, einer Menschheitslehrerin, die alle Menschen gleichermaßen einlädt, zu ihrem wahren Selbst zu finden. Jamie Sams schenkt uns eine weise und liebevolle Navigation, die einen konzentrierten Fokus auf die Freisetzung der eigenen Fähigkeiten, Stärken und Begabungen hält. Zwölf Clanmütter, die ihre Aufgaben, Stärken, Fähigkeiten jeweils einen Mond lang entwickeln. Nur so kann die dreizehnte Clanmutter "becomes her vision" - die, die zu ihrer Vision wird - den Weg aus den visionären Himmeln auf die Erde finden. Was Jamie Sams in ihrem Werk beschreibt, sind nicht nur indianische Weisheiten, die tief berühren und inspirieren, sondern eine differenzierte und effektive Methode der Manifestation des Lebenstraums in dreizehn klaren Einweihungsschritten.

Das Vermächtnis weiser Frauen für ein neues Bewusstsein
Die Lehren der "Dreizehn Original Clan Mütter" gaben die beiden Kiowa-Großmütter an mich weiter, die mich Anfang der 1970er Jahre spirituell unterwiesen. Cisi Laughing Crow und Berta Broken Bow waren mir Lehrerinnen, Mentorinnen und gaben mir ein Vermächtnis mit auf den Weg, auf das sich mein Leben gründete. Soweit wir in Erfahrung bringen konnten, war Cisi 120 und Berta 127 Jahre alt, ich hingegen eine junge Frau von gerade einmal 22 Jahren.
Um eine erwachsene Frau zu werden, was in der Tradition der amerikanischen Ureinwohner um das 52. Lebensjahr herum erfolgt, lehrte man mich, an meinem eigenen Lebensweg zu arbeiten und meine individuellen Veranlagungen und Stärken zur Entfaltung zu bringen - immer mit den Dreizehn Original Clan Müttern als Vorbild. Ich lernte, die Medicine - das Heilwissen dieser ehrwürdigen Großmütter aus längst vergangenen Zeiten zu verstehen, und mich von jeder einzelnen von ihnen als Lehrmeisterin für eine bestimmte Weisheit anleiten zu lassen. Auch wenn es noch viele Jahre dauert, ehe ich vollends erwachsen bin, sind mir die Clanmütter sehr ans Herz gewachsen. Sie waren mir spirituelle Lehrerinnen und ich vertraue ihnen, weil sie mein Herz ansprechen und mich im Herzen berühren ...
Die Clanmütter waren die Geistführerinnen der stammesältesten Frauen, die dann meine physischen Lehrerinnen in Mexiko wurden. Seit Jahrhunderten wird ihre weibliche Weisheit in den Medicine Lodges of Women, den Medizinhütten der Frauen weitergegeben. Die Dreizehn Original Clan Mütter stehen für das, was in meinen Augen am schönsten ist an der Frau und am weiblichen Prinzip.


Weisheitslehrer Thomas Young vermittelt seine Herzlehren seit vielen Jahren, die sich auszeichnen durch große Bewusstseinstiefe und die radikale Präsenz der Mystiker. Er teilt seit Jahren mit unzähligen Menschen in Europa und den USA seine Erfahrungen mit der alchemistischen Kraft des Herzens. Der hellsichtige Mystiker hat in der Arbeit mit Gruppen rund um die Welt durch die Herzlehren eine Fülle von Werkzeugen gesammelt, die es couragierten Bewusstseinspionieren ermöglichen, in tiefere Ebenen ihrer selbst vorzudringen und diese Ressourcen zu aktivieren. Viele Teilnehmer erleben Durchbrüche und spirituelle Gipfelerlebnisse: „Seid bereit für Energien, die weit über alles Erlebte hinausgehen.“ Thomas‘ Forschungsinteresse gilt den Wirkweisen des Bewusstseins und der Herz-Erleuchtung.
Er ist Herausgeber des Buch-Bestsellers „Die 13 Original Clanmütter“ von Jamie Sams und hat aus dem Buch für deutschsprachige Teilnehmer die extrem nachgefragte Online-Jahresbegleitung „The Power of Love“ kreiert, welche am 13. Januar 2025 startet. Weiteres erfahren Sie unter www.thomasyoung.com


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Boundary Boss. Lernen, Grenzen selbst zu setzen ... Interview mit der Psychotherapeutin und Buchautorin von „Boundary Boss“ Terri Cole

"Lernen Sie, die Wahrheit zu sagen - wie Sie sich fühlen, was Sie mögen und was Sie eben nicht mögen - und Grenzen zu setzen!"

"Frauen sollen sich aufopfern, sie sollen nett, gefällig und nachgiebig sein. Die Gesellschaft hat uns beigebracht, dass wir umso weiblicher sind, je weniger Grenzen wir haben - und das glaube ich einfach nicht! Als Boundary Boss weiß eine Frau, wer sie ist, was für sie in Ordnung ist und was für sie nicht in Ordnung ist und wie sie das den Menschen in ihrem Leben mitteilt. Das muss nicht laut geschehen; man kann eine sehr introvertierte Person und trotzdem ein richtiger Boundary Boss sein. Nur muss man erst seine erlernten und unkritisch übernommenen Verhaltensmuster offenlegen - doch da muss sich niemand allein durchwühlen, ich begleite Sie Schritt für Schritt!" Die bekannte Psychotherapeutin Terri Cole, Autorin des weltweiten Bestsellers "Boundary Boss", ist überzeugt, dass wir alle lernen können, die richtigen Grenzen zu setzen und verständlich und effektiv zu kommunizieren.

Aufgrund Ihrer langjährigen Erfahrung als Psychotherapeutin und Empowerment-Expertin sind Sie überzeugt, dass gesunde und stabile Grenzen der Schlüssel für ein erfülltes Leben sind. Wie sind Sie zu dieser Erkenntnis gelangt?

Terri Cole: Tja, man sagt, dass man das lehrt, was man selbst am dringendsten lernen muss oder musste. Ich bin also zu dieser Erkenntnis gekommen, weil ich in meinem eigenen Leben mit ungeordneten Grenzen zu kämpfen und darunter zu leiden hatte, das aber nicht erkannt habe. So war ich in vielen meiner Beziehungen unzufrieden. Ich fühlte mich ausgenutzt. Ich war zurückhaltend, irgendwie die ganze Zeit abgemeldet - und habe das den anderen verübelt. Dann fand ich eine gute Therapeutin, die mir sagen konnte, um was es ging: "Du bist der gemeinsame Nenner in all diesen Beziehungen, Terri." Sie half mir zu erkennen, dass mein Problem nicht unbedingt darin lag, dass andere Menschen mich in Anspruch nahmen oder mich ausnutzten, sondern darin, dass ich nicht wusste, wie ich den Menschen Grenzen setzen konnte. Sie wussten also nicht wirklich, wie ich über die Dinge denke. Das war mein persönlicher Start als "Boundary Boss". Und sobald ich das über viele Jahre hinweg wirklich gelernt hatte, änderte sich mein Leben, und meine Beziehungen wurden besser. Dann habe ich in meiner therapeutischen Praxis dasselbe gesehen: Ich erlebte, dass Frauen auf dieselbe Weise litten wie ich. Und ich wusste, dass das Setzen der richtigen Grenzen auch für sie die Lösung sein würde, um ein erfülltes, zufriedenes Leben zu führen.

Zu Ihren Klientinnen gehören Medienpromis und erfolgreiche Geschäftsfrauen genauso wie die gestresste Mutti von nebenan. Warum sind es vor allem Frauen, die Probleme mit der Abgrenzung haben?

Terri Cole: Das kommt von der Art und Weise, wie wir aufwachsen, was wir von unseren Herkunftsfamilien, unserer Gesellschaft, unserer Kultur lernen. Ich nenne die erlernten bzw. unkritisch übernommenen Verhaltensmuster die "Blaupause" für unsere Grenzen, und wir lernen das alles schon sehr früh: Um eine gute Frau zu sein, muss man sich aufopfern. Du musst für jeden dein letztes Hemd geben. Du sollst gefällig sein, du sollst nett sein, du sollst nachgiebig sein. Und all diese Vorgaben sind in gewisser Weise das Gegenteil davon, Grenzen zu setzen - denn Grenzen zu haben bedeutet, die Wahrheit darüber zu sagen, wie man sich fühlt, was man will, was man mag und was man eben nicht mag. Ich glaube, die Gesellschaft hat uns beigebracht, dass wir umso weiblicher sind, je weniger Grenzen wir haben. Und wissen Sie, das glaube ich einfach nicht! Wir alle können lernen, die Sprache der Grenzen "fließend", verständlich und nachvollziehbar zu sprechen.

Unter "Boundary Boss" verstehen Sie eine Frau, die sich selbst und ihre dysfunktionalen Verhaltensmuster sehr gut kennt. Warum ist es so wichtig, ein souveräner Boundary Boss zu werden?

Terri Cole: Die ganze erste Hälfte des Buches besteht darin, in sich zu gehen, bevor wir uns nach außen wenden. Ein Boundary Boss ist jemand, der seine "innere Arbeit" getan hat, und dabei wird Sie das Buch begleiten. Wir müssen verstehen, warum wir so sind, wie wir sind. Wir müssen Mitgefühl für uns selbst haben, für das, was wir in unseren Herkunftsfamilien gelernt haben, und sozusagen ein Verständnis für die "richtige Art, in der Welt zu sein" entwickeln. Auf zurückhaltende Menschen kann der Gedanken ans Grenzensetzen manchmal beängstigend wirken - müssen sie jetzt lernen, aus sich herauszugehen? Nein, ein Boundary Boss zu sein bedeutet nur, dass man seine eigenen Vorlieben, Wünsche, Grenzen und Hemmschwellen kennt und weiß, dass man sich durchsetzen und die Wahrheit darüber sagen darf, wie man sich fühlt. Ein Boundary Boss weiß, wer er ist, was für ihn in Ordnung ist und was für ihn nicht in Ordnung ist und wie er das den Menschen in seinem Leben mitteilt. Das muss nicht laut geschehen; man kann eine sehr introvertierte Person und trotzdem ein richtiger Boundary Boss sein.

Sie haben Ihr Buch zwar im Hinblick auf sogenannte Cisgender-Frauen geschrieben, doch versprechen Sie Ihren Leserinnen und Lesern, dass eigentlich jede und jeder von den Strategien und dem Inhalt profitieren kann. Welche Erfahrungen machen Männer oder Menschen aus anderen Kulturen beim Thema Abgrenzung?

Terri Cole: Ich glaube, dass grundsätzlich jeder Mensch Probleme damit hat, Grenzen zu setzen, denn niemand hat es wirklich gelernt. Viele Männer können aus diesem Buch lernen, wie man auf die richtige Weise gesunde Grenzen setzt. Sie fühlen sich vielleicht sehr unter Druck, der Versorger zu sein oder Dinge allein zu erledigen - so ist das doch oft bei Männern, von einem traditionellen geschlechtsnormativen Standpunkt aus gesehen, oder? Ich behaupte nicht, dass dies der einzige Standpunkt ist, aber wenn wir uns die "klassischen" Geschlechterrollen ansehen, wird von Männern erwartet, dass sie auf eine bestimmte Art und Weise handeln, dass sie unabhängiger sind, dass sie Antworten haben und handlungsorientiert sind. Die Realität sieht jedoch so aus, dass es viele Männer gibt, die ebenso wie viele Frauen unter dem leiden, was ich die "Krankheit, gefallen zu müssen" nennen würde. Um auch die Frage nach anderen Kulturen kurz zu beantworten: Innerhalb des Buches gibt es Nuancen; ich bin mir der Tatsache bewusst, dass einige Kulturen viel frauenfeindlicher sind als andere und dass sie sich weniger für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzen. Es ist daher klar, dass es teils große Unterschiede gibt, wie viele und welche Grenzen man ziehen kann.

In Ihrem Buch betonen Sie die Wichtigkeit einer Bestandsaufnahme der eigenen Lebensgeschichte und Erfahrungen. Welche Rolle spielt dabei die familiäre Erziehung, und wie kann man erlernte dysfunktionale Abgrenzungsmuster bewusst verändern?

Terri Cole: Wie ich schon angedeutet habe, entsteht unsere "Blaupause" aus Mustern der Herkunftsfamilie, aus den Erfahrungen, dem Land, der Kultur und der Gesellschaft, aus all den gesellschaftlichen Normen, Erwartungen und Rollen. Um sie bewusst verändern zu können, müssen Sie wissen, wie sie aussieht; dabei helfe ich Ihnen mit einer ganzen Reihe von Fragen. Sie bekommen eine Momentaufnahme davon, woher Ihre Überzeugungen über Grenzen stammen, denn diese sind wie architektonische Entwürfe für ein Haus, das jemand anderes vor Jahrzehnten entworfen hat. Es sind unbewusste Paradigmen, die von einer Generation an die nächste weitergegeben werden - wie man sich verhalten sollte, wie Beziehungen, wie Frauen sein sollten und wie Männer sein sollten. Eines der wichtigsten Dinge, die Sie in diesem Buch tun werden, ist, Ihren eigenen Grenzplan zu entdecken, denn das ist das Navi, mit dem Sie verstehen können, welche Überzeugungen Sie ändern wollen. Denn die Sache ist die: Sie können Ihre Herkunftsfamilie innig lieben und dennoch mit ihr nicht einverstanden sein. Es ist erlaubt, sich für etwas anderes zu entscheiden, aber Sie müssen wissen, was in Ihrer unbewussten Blaupause steht, um es bei Bedarf zu ändern.

Sie beschreiben Ihr Buch "Boundary Boss" als strategischen Guide oder als eine Art Ausbildung. Das klingt nicht gerade nach einem Wohlfühl-Ratgeber und verlangt den Leserinnen einiges ab. Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen, und wie geht man mit Rückschlägen oder auch schwierigen Personen im eigenen Umfeld um?

Terri Cole: Die Sache ist die: Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fühlen sich gut an, und die Art, wie das Buch geschrieben ist, basiert auf Fallstudien und persönlichen Geschichten. Es ist also nicht nur ein knallharter Leitfaden, der sagt: "An die Arbeit!" Ich erzähle Ihnen Geschichten, um die Konzepte zu veranschaulichen, und dann begleite ich die Leserinnen und Leser dabei, sich selbst und die eigenen Erfahrungen darin wiederzufinden … Keiner muss sich allein durchwühlen, wir machen das zusammen.
Wenn Sie aktuell mit schwierigen Menschen in Ihrem Umfeld zu kämpfen haben, würde ich Ihnen als Erstes raten, eine Bestandsaufnahme durchzuführen. Das wird uns die Beziehungen zeigen, die unsere Aufmerksamkeit am dringendsten brauchen. Sie schreiben einfach den Namen der jeweiligen Person auf und was Sie empfinden - Ärger oder Wut oder mangelnde Wertschätzung oder was auch immer es ist, das Sie negativ empfunden haben. Eine solche Bestandsaufnahme zeigt uns, welche Beziehung unsere Aufmerksamkeit braucht, und entwickelt sich oft zu einem Fahrplan, an welchen Beziehungen wir zuerst arbeiten müssen. Rückschläge gehören dazu, denn das ist die Art und Weise, wie unser Gehirn funktioniert. Zwei Schritte nach vorn, einer zurück. So lernen wir. Erwarten Sie also nicht, dass Sie, nur weil Sie wissen, was Sie tun sollten, es auch sofort tun können. Ich führe Sie durch den gesamten Prozess und bereite Sie auf den Widerstand vor, den Sie in Ihren Beziehungen bekommen könnten, auf die Art und Weise, wie die Leute reagieren oder auch nicht reagieren. Und ich vermittle Ihnen auch ein großes Maß an Selbstfürsorge, denn diese Arbeit ist nichts für schwache Nerven und kann anstrengend sein. Vor allem dann, wenn man vielleicht eine schwere Kindheit hinter sich hat. Aber wissen Sie, es lohnt sich, und Sie sind es wert. Und ich verspreche Ihnen, dass jeder, der sich bessere Grenzen wünscht, dies in seinem Leben verwirklichen kann, indem er "Boundary Boss" von Anfang bis Ende liest und alle Übungen macht. Und ich garantiere Ihnen ebenso, dass sich in Ihrem Leben etwas zum Positiven verändern wird.

Buchtipp: Terri Cole: Boundary Boss - Meine Grenzen setze ich selbst! Klarheit finden und endlich selbstbestimmt leben. Mankau Verlag, 1. Auflage Oktober 2024, Klappenbroschur, 286 Seiten. 22 Euro. ISBN 978-3-86374-734-3, www.mankau-verlag.de


Terri Cole ist zugelassene Psychotherapeutin und Expertin für Beziehungen und Empowerment. Seit mehr als zwei Jahrzehnten arbeitet Terri Cole mit einer Vielzahl von Klienten zusammen, die von Hausfrauen bis hin zu Prominenten und Fortune-500-CEOs reichen. Sie hat die Gabe, komplexe psychologische Konzepte verständlich und umsetzbar zu machen, sodass ihre Leserinnen und Leser nachhaltige Veränderungen erreichen können. Mit ihrem Blog, ihrer Social-Media-Plattform, ihren Kursen und ihrem beliebten Podcast, der „Terri Cole Show“, inspiriert sie wöchentlich über 250.000 Menschen.

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Echtes Mädesüß ... Heilpflanzentipp von Barbara Simonsohn

Echtes Mädesüß ist als Schmerzpflanze zu Unrecht so gut wie in Vergessenheit geraten. Vielleicht ist Ihnen im Sommer eine hoch gewachsene cremeweiß blühende Wiesenpflanze aufgefallen, eine echte Schönheit, welche alle Wiesenpflanzen überragt. Bei den Kelten galt Mädesüß neben Eisenkraut und Wasserminze als eine der drei heiligsten Pflanzen. Die Druiden, die Schamanen der Kelten, verehrten die Pflanze und nutzten sie zur Heilung. Das Echte Mädesüß oder Filipendula ulmaria L. wurde bei den Germanen zum Aromatisieren von Met verwendet, daher kommt wahrscheinlich sein Name, der sich von "Metsüße" abgeleitet haben kann. Die Pflanze enthält Salicylaldehyd, was in der Leber in die fiebersenkende, entzündungshemmende und schmerzstillende Salicylsäure umgewandelt wird. Noch heute wird das Echte Mädesüß gegen Schmerzen und Fieber eingesetzt. Aus den Blütenknospen wurde früher Salicyaldehyd gewonnen. Spiraea ulmaria ist der alte lateinische Name, und damit stand die Pflanze Pate für Aspirin, was "A spiraea" heißt, "aus der Spierstaude stammend."

Verbreitung
Echtes Mädesüß wächst vor allem in Nordeuropa und Ostasien, in der nördlichen gemäßigten Zone, aber auch in Italien, Frankreich und Spanien. In Nordamerika gibt es nur kleine Bestände durch Einschleppung. Die Pflanze ist sehr gesellig und bevorzugt feuchte Wiesen, Bach- und Flussufer, Sümpfe und Auen.

Die Pflanze
Der Echte Mädesüß gehört zu den mehrjährigen Rosengewächsen und wächst bis zu zwei Meter hoch. Die Stängel sind kantig, oben verästelt und rötlich. Daraus ersprießen zahlreiche wechselständige gefiederte Blätter. Die gelblich-weißen beziehungsweise cremeweißen Mädesüßblüten sind einzeln unscheinbar. Sie bestehen aus fünf kleinen Blütenblättern, sechs bis neun Zentimeter im Durchmesser, die in zahlreichen Trugdolden angeordnet sind. Die langen Staubblätter ragen auffallend weit aus ihnen hinaus und vermitteln so ein weiches, flauschiges Aussehen. Der Duft der Blüten ist einzigartig mandel-artig süß. Die Blütezeit ist von Mai bis August.

Inhaltsstoffe und Wirkweise
Echtes Mädesüß wird arzneilich fast ausschließlich als Tee verwendet, und zwar entweder nur die Blüten, oder das Kraut oder oberes Teil der Staude, oder beides. Während der Blüte ist Erntezeit, und da Mädesüß nicht angebaut werden kann, gibt es den Tee nur aus Wildsammlung. Innerlich angewendet wirkt der Tee harn- und schweißtreibend, schmerzstillend, fiebersenkend, antirheumatisch und entzündungshemmend. Die Blüten enthalten das ätherische Öl mit den wichtigen Bestandteilen Salicylaldehyd und Salicylmethylester in noch höherer Konzentration als das Kraut. Außerdem finden sich in der Pflanze Flavonoide wie Spiraesoid, Rutin, Hyperosid und weitere Quercetinverbindungen und als Gerbstoffe Ellagitannine und Gallotannine.
Den Tee lässt man bis zu zehn Minuten ziehen und trinkt ihn schluckweise. Nebenwirkungen sind keine bekannt, ebenfalls keine Wechselwirkungen. Die Kommission E, das Expertengremium zum Thema Pflanzenheilkunde des deutschen Gesundheitsministeriums, empfiehlt bei Fieber, einen Tee aus ein bis zwei Teelöffel Mädesüßblüten zu trinken. Die EFSA - Europäische Kommission für Lebensmittelsicherheit - erlaubt die Gesundheitsaussagen "trägt zur Gesunderhaltung der Gelenke bei" und "unterstützt die Beweglichkeit der Gelenke" und betont die verbesserte Wasserausscheidung über die Nieren durch Mädesüß.

Die vielfältigen Wirkungen von Mädesüß
1838 gewann der Schweizer Apotheker Johann Pagenstecher erstmals aus dem Mädesüß Salicylaldehyd, den Vorläufer der Salicylsäure. Salicylaldehyd wird in der Leber zu Salicylsäure umgewandelt. Die Salicylsäure hemmt die Bildung von entzündungsfördernden Prostaglandinen und wirkt zusammen mit weiteren Flavonoiden fiebersenkend und entzündungshemmend. Die Inhaltsstoffe von Mädesüß, allen voran Salicylaldehyd, dämpfen das sympathische Wärmeregulationszentrum, so dass die Temperatur bei Fieber relativ schnell absinken kann, erweitern die Blutgefäße in der Peripherie und regen die Schweißproduktion an. Außerdem wirkt Salicylsäure desinfizierend und antiseptisch und verhindert Ödembildung. Damit wirkt Mädesüß auch als Venenschutz zur Vorbeugung einer chronisch venösen Insuffizienz.
Salicylaldehyd und Salicylmethylsäureester, ein weiteres Salizylat-Derivat, haben entzündungshemmende Eigenschaften und sind daher für die äußere Anwendung bei Akne geeignet. Zusammen mit Flavonoiden wirken Salizylat-Derivate antibakteriell, so dass die Vermehrung der Akne verursachenden Bakterien unterbunden wird. Sie lösen sanft die Hornhaut auf, die sich oft bei Akne an den Ausführungsgängen bildet, und der Talg kann wieder ungehindert auf die Hautoberfläche fließen. Man stellt einfach einen Sud aus drei Teelöffeln Mädesüßblüten-Tee auf einem halben Liter Wasser her, den man eine halbe Stunde zugedeckt köcheln lässt, tunkt eine Kompresse in den Sud, drückt sie aus und legt sie auf die Haut zum Einwirken.
Die Ellagitannine in Mädesüß gehören zu den Gerbstoffen und haben eine adstringierende Wirkung. Dadurch wird die Reizbarkeit der Zellen vermindert und gleichzeitig ihre Widerstandsfähigkeit gesteigert. Bei Wunden und entzündeten Schleimhäuten wirken die Gerbstoffe durch Adstrinktion entzündungshemmend und schmerzstillend. Das Eindringen von Erregern in die Schleimhäute oder tiefer liegende Wundschichten wird erschwert oder verhindert, und die Wiederaufnahme von giftigen Zerfallsprodukten wird gehemmt. Ellagitannine wirken lokalanästhetisch und binden als kraftvolle Antioxidantien freie Radikale.
Die wasserlöslichen Polysaccharide aktivieren das Komplementsystem des menschlichen Organismus, ein wichtiger Teil unseres Immunsystems. Das Komplementsystem moduliert Entzündungsprozesse und aktiviert Leukozyten oder weiße Blutkörperchen als wichtigen Teil der Immunabwehr. Das Heparin in Mädesüß, ein Polysaccharid, hält das Blut dünnflüssig und optimiert die Blutgerinnung. Durch die Verhinderung der Bildung von Blutgerinnseln wird die Bildung von Thrombosen verhindert. Thrombosen in den Arterien sind häufig die Ursache für Herzinfarkte und Schlaganfälle.
Seit Aspirin preiswert synthetisch hergestellt wird, ist Mädesüß als vielseitige und potente Heilpflanze leider in Vergessenheit geraten. Mehr als fünfzig wissenschaftliche Studien bestätigen die antientzündliche, magenschützende, antioxidative, herzstärkende, schmerzlindernde, krebshemmende, pilzhemmende und antibakterielle Wirkung der Pflanze und seine günstige Wirkung auf das Mikrobiom. Echtes Mädesüß hemmt die Bildung von Geschwüren und verbessert die Beweglichkeit von Gelenken.
Für viele unserer aktuellen Gesundheitsprobleme scheint dieses Kraut gewachsen zu sein. Angesichts der langen Geschichte als Heilpflanze und die Bestätigung der Heilwirkungen durch zahlreiche wissenschaftliche Studien sollte in meinen Augen einer Renaissance dieser wunderschönen Wiesenkönigin als Gesundheitsprophylaxe und Pflanzenmedizin nichts mehr im Wege stehen.


Barbara Simonsohn (geb. 1954) ist Ernährungsberaterin und Reiki-Lehrerin. Seit 1982 gibt sie Seminare im In- und Ausland, vor allem über das authentische Reiki mit sieben Graden, aber auch in Azidose-Therapie und -Massagen nach Dr. Renate Collier sowie in Yoga. Darüber hinaus befasst sie sich intensiv mit dem Thema „Gesunde Ernährung“. Seit 1995 hat Barbara Simonsohn zahlreiche Ratgeber im Bereich der ganzheitlichen Gesundheit veröffentlicht. Ihre Webseite: www.barbara-simonsohn.de

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2025 | Astrologische Jahresthemen ... Markus Jehle

Weiterkämpfen oder Rückzug?
Die Wochen um den Jahreswechsel 2024/25 werden von Machtkämpfen bestimmt, die größtenteils erbittert und mit großem Vernichtungswillen ausgetragen werden. Sieg oder Niederlage, so lautet die Devise. Mit dem rückläufigen Löwe-Mars in Opposition zu Wassermann-Pluto spielt sich das Geschehen auf Messers Schneide ab, und es scheint kaum möglich, Kompromisse auszuhandeln. Alle Beteiligten stehen mit dem Rücken zur Wand und handeln, als ginge es um Leben oder Tod. In solchen Drucksituationen fällt es uns schwer, uns darauf zu besinnen, was das jeweils richtige Handeln ist, damit es nicht dazu kommt, dass wir uns in ausweglose Situationen verbeißen und den eigenen Untergang heraufbeschwören.

Rechtzeitig den Rückzug anzutreten, kann in den ersten Monaten des Jahres die klügere Strategie sein, um unsere Interessen zu wahren, anstatt zu versuchen, falschen Heldenmut zu beweisen und uns damit eine vernichtende Niederlage einzuhandeln. Das klingt dramatisch, was es insofern auch ist, als dass unserem Ego und seinen selbstherrlichen Handlungen die Grenzen aufgezeigt werden. Es wird deutlich, wer die Macht und das Sagen über unser Dasein hat, was sowohl erleichternd als auch ernüchternd sein kann.

Der Preis der Erneuerung
Manchmal kostet es uns mehr Mut, den Kampf aufzugeben, anstatt bis zum bitteren Ende weiterzumachen. Zu erkennen, womit es vorbei ist und was endgültig abgeschlossen werden muss, stellte eine der zentralen Herausforderungen des vergangenen Jahres 2024 dar. Beim Übergang von Pluto aus Steinbock nach Wassermann zeigte sich der alte Geist der Vergangenheit zwar nochmals mit aller Macht, dass seine Zeit abgelaufen ist, war und ist angesichts der Umbrüche der aktuellen Zeitenwende jedoch kaum mehr zu leugnen.
Künftig ist mit Umbrüchen und Verwerfungen zu rechnen, die bestehende Ordnungen auf den Kopf stellen und das Unterste nach oben bringen. Doch jeder Umsturz hat seinen Preis, und es geht dabei manches zu Bruch, was bislang Halt und Sicherheit gab. Das Neue hingegen steht zunächst meist auf einem wackeligen Fundament und muss sich erst noch festigen, ehe es größeren Belastungen ausgesetzt werden kann.

Insofern steht das Jahr 2025 für eine Phase der Neuorientierung, in der viel experimentiert und ausprobiert werden muss, ehe klar ist, was sich als zukunftstauglich erweisen und im Laufe der Zeit zunehmend besser bewähren wird. Doch ehe es soweit ist, spitzen sich die Konflikte der vergangenen Jahre nochmals dramatisch zu. Es beginnt eine heiße Phase der Entscheidungen, die durchaus einem Schlachtfeld gleichen kann.

Nüchtern und enttäuscht
Die Phase der Ernüchterung und Desillusionierung, die uns bereits 2024 begleitet hat, hält auch 2025 weiter an. Die "kosmische Ausnüchterungszelle" bleibt weiterhin in Betrieb, und wir kommen nicht umhin, uns einzugestehen, wo wir Illusionen aufgesessen sind und uns falsche Hoffnungen gemacht haben.
Angesichts der nur schwer zu verkraftenden Enttäuschungen lässt der Kampfeswille spürbar nach. Widder-Saturn und Neptun bilden Mitte Juli 2025 eine Konjunktion, was neben Substanzverlusten in Form von Pleiten, Pech und Pannen auch dazu führen kann, dass die Aussichten auf friedliche Lösungen spürbar steigen. Doch aus vielem, was machbar wäre, wird zunächst nichts. Vielleicht, weil es zu anstrengend ist, etwas daraus zu machen. Oder es mangelt an Tatkraft, an Verantwortungsbewusstsein, an Mut und an Kraft. Möglicherweise steht auch zu viel auf dem Spiel. Oder wir erkennen plötzlich, was alles schiefgehen kann, und machen einen Rückzieher. Jemand müsste den Anfang machen. Sich etwas trauen. Die Initiative ergreifen. Damit der Wunsch zur Wirklichkeit wird. Wovon träumen wir? In welcher Welt erwachen wir? Wie groß ist die Lücke, die dazwischen klafft? Wird sie zu groß, dann versinkt alles darin.

Der Geist der Verzweiflung
Jupiter bewegt sich in der ersten Jahreshälfte 2025 weiterhin im Zeichen Zwillinge. Neben der vielen Fragen und Zweifeln, die sich in diesem Zusammenhang auftun, sind vor allem unsere Logik und unser Verstand gefragt. Die Aufklärung, sie ist noch längst nicht Geschichte, doch es wäre klug, sie vernünftig weiterzudenken und dabei unseren Geist auf die richtigen Ziele zu lenken. Ständig alles in Zweifel zu ziehen, würde uns nur noch mehr in die Verzweiflung treiben. Wir sind noch viele Antworten schuldig geblieben, was vielleicht auch daran liegt, dass wir uns die falschen Fragen gestellt haben. Dies gilt es zu erkennen und entsprechend zu korrigieren.

Eine Frage stellt sich uns mit zunehmender Dringlichkeit: Sind wir noch gefragt? Mitte September 2025 bildet Zwillinge-Uranus ein zunehmendes Trigon zu Wassermann-Pluto. War es dumm oder war es klug von uns, unsere Intelligenz zu verkünstlichen? Erschaffen wir uns dadurch neu oder schaffen wir uns damit ab? Müsste eine künstliche Intelligenz, sofern sie wirklich intelligent wäre, nicht dafür sorgen, uns loszuwerden? Wir Menschen können uns keine Zukunft denken, in der wir selbst nicht mehr vorkommen. Künstliche Intelligenz könnte das und müsste das auch. Denn das Fortbestehen des Planeten Erde wäre viel wahrscheinlicher, wenn es uns Menschen nicht gäbe.
Was nützt uns unser Erfindergeist, wenn wir nicht ganz bei Verstand sind? Wie frei können unsere Gedanken denn jemals sein, wenn unser Kopf niemals frei von Gedanken ist? Wie geistreich kann ein Geist sein, der rastlos ist und ständig nach Ablenkung und Zerstreuung sucht? Um zu begreifen, was in unserem Kopf los ist, müssen wir uns selbst erkennen. Ob KI das auch kann? Dies sind nur einige der vielen Fragen, an denen sich unsere Zukunft entscheiden wird, und es wäre nicht verkehrt, wenn wir dabei ein gewichtiges Wort mitzureden hätten.

Positive Gefühle
Nach seinem Wechsel in Krebs bildet Jupiter Mitte Juni ein zunehmendes zu Quadrat Widder-Saturn und zu Widder-Neptun. Dies bringt uns in Kontakt mit der geballten Kraft der Gefühle, und wir müssen uns fragen, welche Emotionen unser Handeln blockieren. Wo lassen wir uns vertrösten, statt uns durchzusetzen? Was verleiht uns Kraft, was raubt sie uns? Wohin mit unserer Wut im Bauch? Wir müssen lernen, Dampf ablassen, ohne Schaden anzurichten. Was sich gut anfühlt, das gilt es anzupacken, auch wenn wir in manchen Situationen zu emotional sind, um klar und rational zu handeln. Wir sehnen uns nach Trost, doch um ihn zu finden, müssen wir uns zunächst unsere Hilflosigkeit eingestehen. Wir benötigen den Rückhalt unserer Familie und anderer, uns nahestehender Menschen, um uns geschützt und geborgen zu fühlen. Unsere Fürsorge und unsere Anteilnahme sind gefragt, was jedoch nicht heißt, dass wir uns ständig in einem Tal der Tränen befinden und von kindlichen Gefühlen überwältigt sein müssen. Es sind vor allem unsere positiven Gefühle, die uns in der zweiten Jahreshälfte Zuversicht und Schwung verleihen.

Es weht ein neuer Geist
Uranus und Neptun bilden 2025 einen Sextil-Aspekt, einmal Ende August in den Zeichen Zwillinge/Widder und nach einer rückläufigen Phase Mitte November in den Zeichen Stier/Fische. Dies macht Lust auf transzendente Erfahrungen, konfrontiert uns jedoch auch mit unserer Gier. Nicht jede Form von Besitz beglückt uns wirklich, und freiwilliger Verzicht macht sich doppelt bezahlt. Auch Auflösungserscheinungen können befreiend sein, zumal sie Raum geben, um neu durchzustarten. Entscheidend ist, aus welchem Geist heraus wir handeln und wie gut es uns gelingt, die Dinge neu zu sehen und anders zu denken. Es ist die Sehnsucht, die uns auf frische Ideen bringt und unseren Tatendrang beflügelt. Dies führt auch in spiritueller Hinsicht zu neuen Einsichten, die sehr befreiend wirken.

Not macht erfinderisch
Mitte September bildet Zwillinge-Uranus ein zunehmendes Trigon zu Wassermann-Pluto. Wir sind aufgefordert, den Kopf für das Wesentliche freizubekommen und möglichst weit in die Zukunft vorauszudenken. Manche Veränderungen sprengen unser Vorstellungsvermögen, und wir müssen uns entscheiden, inwieweit wir ein Teil des Fortschritts sein wollen, oder ob wir uns als dessen Gegner betrachten. Alles ist denkbar, auch das Unmögliche. Klugheit sichert das Überleben, Dummheit ist potenziell tödlich.

Fazit
Intelligenz und Vernunft sind der Schlüssel, um die Herausforderungen des Jahres 2025 erfolgreich zu bewältigen. Die drei großen Planeten-Götter Uranus, Neptun und Pluto stehen harmonisch zueinander, unterstützt von Saturn. Dadurch gerät vieles in Bewegung, woran wir bislang eisern festgehalten haben. Dies löst Verunsicherung und Ängste aus, und schafft zugleich Platz für Neues. Zwar ist mit Enttäuschungen und Rückschlägen zu rechnen, dafür steigen die Aussichten, dass nach einer ersten Jahreshälfte mit Machtkämpfen und Verlusten die Aussicht auf eine bessere Zukunft und ein friedlicheres Miteinander konkrete Formen annimmt. Auch wenn sich so mancher Neuanfang zunächst als Fehlstart entpuppt, ist es dennoch möglich, dass langgehegte Wünsche in Erfüllung gehen und ein neuer Geist unser Denken und Handeln beflügelt.


Anmerkung:
Natürlich üben die Planeten keinen unmittelbaren Einfluss auf unser irdisches Dasein aus. Doch aus ihrem Umlauf um die Sonne ergeben sich aus geozentrischer Perspektive Rhythmen und Zyklen, die seit Jahrtausenden erforscht werden und die in symbolisch verschlüsselter Form ein Abbild der Entwicklungen und des Geschehens auf unserem Heimatplaneten sind. Nicht die Sterne sind die Ursache dafür, was sich auf der Erde abspielt, sondern wir Menschen.

Kalender-Tipp: Markus Jehle "Himmlische Konstellationen 2025. Astrologisches Jahrbuch", erhältlich direkt unter: www.chiron-verlag.de


Markus Jehle ist Leiter des Astrologiezentrums Berlin. Infos unter: www.astrologie-zentrum-berlin.de

Hinweis zum Artikelbild: © Omtuanmuda – AdobeStock


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