Artikel aus der Ausgabe 5/6-2023 - KGS Berlin - Körper Geist Seele

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Artikel aus der Ausgabe 5/6-2023

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Wer hat Recht? Erzählungen (ver)führen uns ... von Wolf Schneider


Die Geschichten, die wir uns selbst und einander über die Wirklichkeit erzählen, werden neuerdings gerne Narrativ genannt. Meist halten wir diese Geschichten für wahr, manchmal zweifeln wir daran. Wenn wir sie für wahr halten, glauben wir, sie gäben wieder, was tatsächlich der Fall ist. Eine Geschichte kann das jedoch nicht. Nicht einmal ein Foto oder ein Film kann Wirklichkeit wiedergeben, so wie sie ist, noch weniger kann das eine Erzählung. Wenn wir glauben, eine Geschichte gäbe die Wirklichkeit wieder, so wie sie ist, und ein anderer Mensch erzählt sich selbst, mir oder uns eine andere Geschichte desselben Ereignisses, dann ist damit die Basis für Konflikte gelegt. Umso mehr, wenn es darin auch noch um unterschiedliche Interessen und Werte geht. Das gilt für private ebenso wie für politische Konflikte. Richter und Scheidungsanwälte wissen ein Lied davon zu singen, ebenso wie Diplomaten und Politiker. Dass die Soziologie vor ein paar Jahren den Begriff des Narrativs eingeführt hat, halte ich für einen Lichtblick in diesen dunklen Zeiten.

Was ist wahr?
Person oder Partei A erzählt das Ereignis mit ihren eigenen Worten, die eigene Schwerpunkte setzen. Auch bei dem Versuch, nur die Tatsachen zu berichten, ohne wertende Begriffe, gelingt das nicht, weil Begriffe immer schon eine gewisse wertende Tendenz haben. Zweitens vermittelt allein die Auswahl der berichteten Tatsachen der Geschichte eine wertende Tendenz, weil wir fühlenden Lebewesen eben auf Schmerzvermeidung und Lustgewinn aus sind, vor allem auf Schmerzvermeidung.
Person oder Partei B erzählt von demselben Ereignis jedoch eine andere Geschichte. Nehmen wir als Beispiel den Sturm auf das Kapitol in Washington D.C. am 6. Januar 2021. Von diesem Ereignis gibt es sehr viele verschiedene Erzählungen. Richter versuchen zu entscheiden, welche davon die am ehesten faktisch wahre und das Wesentliche beschreibende ist. Bei komplexen Ereignissen wie diesem ist der zweite Teil, die Prüfung der Relevanz, noch der weitaus schwierigere. Scheidungsanwälte und Fußballschiedsrichter haben es dabei ein bisschen leichter, weil ihre Fälle weniger komplex sind.
Zurück zu der Grundfrage, wie Konflikte lösbar sind, die daraus entstehen, dass Menschen sich von ein und demselben Ereignis verschiedene Geschichten erzählen. Der Faktencheck - ist das Gesagte wahr? - ist auf jeden Fall nützlich und wichtig. Zum schwierigeren Relevanzcheck komme ich gleich noch. Meine Antwort auf die Grundfrage zur Gewaltverhinderung und Konfliktlösung ist: Nur ein Kontakt beider Parteien zum Transnarrativen gibt dem Frieden eine Chance.

Das Transnarrative
Was ist mit dem "Transnarrativen" gemeint? Damit meine ich den Hintergrund, auf dem Erzählungen entstehen und in dem sie auch wieder verenden. Das Transnarrative ist die Leinwand, auf der sich das Drama abspielt. Am Ende auch der besten Filme ist sie wieder leer. Das Gewahrsein eines solchen Hintergrundes ist für die Bereitschaft zum Frieden wesentlich. In ähnlicher Weise hilft die Fähigkeit sich in die Perspektive eines anderen hinein zu versetzen, genannt Multiperspektivität, denn sie ist ja eine Art Multinarrativität. Um eine andere Perspektive einzunehmen, muss ich von meiner Perspektive zu der des Anderen durch den Geburtskanal des Nullpunkts von "Ich weiß nichts". So ähnlich wie ich im Gewahrsein des Hintergrundes als leerem Ort der Wandlung von einer für wahr gehaltenen Erzählung zu einer anderen wechsle.

Einbildungen
In unserem Orientierungsprojekt für junge Erwachsene, dem Bachelor of Being, haben wir deshalb übungsweise einen Tag lang immer, wenn wir irgendwas berichtet haben, den Satz eingeleitet mit "Ich erzähle mir die Geschichte, dass …". Zum Beispiel, dass es jetzt draußen zu nass ist, um die Hofarbeit zu machen, wurde eingeleitet mit "Ich erzähle mir die Geschichte, dass es jetzt draußen zu nass ist, um die Hofarbeit zu machen". Diese Art der Einleitung eines Berichts lässt mehr Raum für die Frage, ob etwas wirklich der Fall ist oder ich mir das nur einbilde. Ist es draußen wirklich zu nass für die Hofarbeit?
Es bleibt dabei der Unterschied zwischen Fakt und Fake. Ob das Gras draußen nass ist oder nicht, fragt nach etwas Faktischem. Außer im Bereich von "ein bisschen feucht" lässt sich diese Frage mit Ja oder Nein beantworten. Ob es allerdings "zu" nass ist für eine bestimmte Tätigkeit, hat mit dem komplexen Ganzen von Werten und Absichten zu tun, die damit verbunden sind. Dafür eignet sich eine bewertende Erzählung, die je nach Bewertung anders ausfällt. Für die reicht der Faktencheck, ob es draußen nass ist, nicht aus.

Irrtum und Lüge
Eine in diesem Kontext ebenfalls wichtige Unterscheidung ist die zwischen Lüge und Irrtum. Fans des Spirituellen übergehen diese gerne. Da wird dann oft gesagt: Erkenntnis entsteht doch in unserem Kopf. Der Himmel ist nicht wirklich blau, sondern die Lichtwellen einer bestimmten Frequenz interagieren mit unseren Augen und dem Gehirn so, dass dort der Eindruck von blau entsteht. Mit dem realen Himmel hat das nicht viel zu tun. "Ist doch alles Maya", heißt es dann im stolz vorgetragenen Halbwissen über diesen Begriff aus der alten indischen Philosophie. Auf Deutsch manchmal sogar: Ist doch alles Lüge! Eine Lüge ist jedoch eine bewusste Falschdarstellung, und zwar im Gegensatz zum Witz oder Scherz mit böser Absicht. Ein Irrtum hingegen ist der Glaube an eine Aussage über etwas Faktisches, die nachweisbar nicht wahr ist.

"Sagen, was ist"
Das Motto "Sagen, was ist" des Nachrichtenmagazins Spiegel erlitt im Herbst 2018 einen krassen Absturz, als sich herausstellte, dass Claas Relotius, einer der renommiertesten Reporter des "Spiegel", die meisten seiner Reportagen gefälscht hatte. Relotius hatte nämlich die Masche raus, wie eine Reportage für den Spiegel formuliert sein muss, um als wahr zu gelten. So gut hatte er das raus, dass er für seine Storys sogar prämiert wurde. Das erinnert mich an eine Juristin, die als Drehbuchautorin für ein Nachmittags-TV interessante Rechtsfälle zu präsentieren hatte. Meist war es so, dass die echten Fälle, über die sie schrieb, von ihrer Chefredaktion für zu unglaubhaft gehalten wurden und die von ihr Erfundenen für echt. Auch das Wort Realsatire passt hierzu. Damit ist eine Geschichte gemeint, die zwar etwas Wahres erzählt, den Lesern oder Zuhörern jedoch erscheint sie als so komisch, dass sie denken, sie sei von einem Spötter erfunden.

Relevanz
Nun, wie versprochen, noch ein Ausflug zum Thema der Relevanz. Um Realist zu sein, genügt es ja nicht, sich um Faktizität zu bemühen. Um leben und überleben zu können, muss ich in meiner begrenzten Wahrnehmung genau das im Fokus haben, was hierzu relevant ist. Dasselbe dann auch in Bezug auf mein Gedächtnis. Diese Frage danach, was ich abspeichern will, stellt mir ja auch mein PC und ebenso die Verwaltung in jedem Büro. Dazu brauche ich ein klares Bewusstsein meiner Werte, eine "Prio-Liste" von diesen und muss dann die Bedeutung der mir zugeführten Infos in hohem Tempo ob ihrer Relevanz beurteilen. Dabei hilft mir eine schnell und sicher funktionierende selektive Wahrnehmung, dasselbe dann auch beim Abspeichern im Gedächtnis.

Weglassen können - und sterben
Das ist nicht leicht. Auch das Weglassen des Irrelevanten ist für viele eine zu große Aufgabe - Messies sind wir allzu oft auch im Umgang mit Informationen. Bei alledem hilft uns die Fähigkeit, mit einem Bein im Hintergrund zu stehen. In der Transzendenz, im leeren Raum. In der Stille, in die jeder Ton vergeht, so wie unser Leben mit dem Tod im Unendlichen verschwindet, aus dem wir einst gekommen sind.


Wolf Sugata Schneider, Jg. 52., 1985–2015 Hrsg. d. Zeitschrift Connection. Autor v. »Sei dir selbst ein Witz« (2022). www.connection.de , www.bewusstseinserheiterung.info , www.bachelor-of-being.de

Hinweis zum Artikelbild: © master1305 - Adobéstock



Das Leben darf leicht sein ... von Sabine Merfort


Als Kinder sind wir noch in der Lebensfreude, Lebendigkeit, Leichtigkeit, ja in der Glückseligkeit. Wir spielen, lachen, erproben ständig Neues, unser Kopf ist still, da ist kein ständig plapperndes Denkkarussell, wir folgen unseren Impulsen, entdecken mutig neue Terrains, sind mit offenen Herzen und Sinnen unterwegs.
Im Laufe der Zeit kommt uns diese Unbeschwertheit irgendwie abhanden. So viele von uns fühlen sich nicht mehr leicht, lebensfreudig und lebendig. So viele laufen mit Ängsten, Sorgen, Leistungsdruck durch das Leben, fühlen sich schwer und eingeengt zwischen zu viel Arbeit, To-do-Listen, Terminen und Erwartungen, den eigenen und denen der anderen. Es ist, als könnten wir nicht mehr frei und lebendig herumspringen und leichtfüßig Impulsen folgen, weil wir einen Haufen Ballast mit uns herumschleppen. Wir haben auf unserer Reise wahnsinnig viel Gepäck dabei, riesige Koffer, unzählige Taschen und Säcke. Kein Wunder also, dass wir uns unflexibel, unbeweglich und starr fühlen. Kein Wunder, dass uns das Leben schwer und anstrengend vorkommt.
Aber woraus genau besteht dieser Ballast? Was ist denn in diesen ganzen Taschen und Koffern drin? Was zum Geier schleppen wir damit uns herum, das uns daran hindert, die Lebensfreude zu fühlen, die doch irgendwo ganz tief noch in uns verbuddelt sein muss und nach der wir uns so sehnen? Zum einen spielen dabei sicherlich, wie oben angedeutet, so etwas wie Ängste, Sorgen, Leistungsdruck eine Rolle. Vielleicht sind es aber dazu auch alte Konditionierungen, Glaubenssätze und Gewohnheiten, die dafür sorgen, dass wir uns schwer und eingeengt fühlen. Vielleicht stecken in uns noch alte Ge- und Verbote, wie etwas zu sein oder auf keinen Fall zu sein hat, wie wir selbst sein sollten und auf keinen Fall sein dürfen.
Auch ist in unserer Gesellschaft die Annahme noch weit verbreitet, dass, wenn etwas "gut" und "richtig" werden soll (angefangen beim Bewältigen des Alltags bis hin zur Berufsausbildung und dem Arbeiten selbst) der Weg anstrengend und hart sein muss. Als würde der eigene Wert mit dem Maß an Stress und Abrackern steigen.
Gut möglich, dass in unseren Koffern, Taschen und Säcken auch die ständig auf uns einprasselnde Informations- und Nachrichtenflut steckt und uns beschwert und niederdrückt. Schließlich wissen wir nicht nur von allen Kontakten, die wir in unserem Handy haben, den aktuellen Status - zum Beispiel, wer, wann, wo, mit wem verreist ist, einen Ausflug macht, an einer Veranstaltung teilnimmt, sondern wir wissen durch dutzende Newsletter auch, welche Seminare, Webinare und Kurse es momentan gibt. Wir nehmen täglich, ja stündlich aktuell auf, was in den verschiedensten Ländern der Welt los ist, was die Politik im eigenen Land so treibt oder, was in unseren Lebensmittelläden im Angebot ist. All das ist schweres Gepäck, das an uns klebt und mitgetragen wird. Hinzu kommt, dass dieses ganze Gepäck natürlich ständig beaufsichtigt werden will, so, dass es schon kaum möglich scheint, mal in Ruhe den Blick schweifen zu lassen, geschweige denn, mal ein paar Schritte links oder rechts herum zu laufen.
Dieses "sich-abrackern", "hart arbeiten", "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen", "Zähne zusammenbeißen" und "Es muss anstrengend sein, wenn es was wert sein soll." erscheint mir völlig überholt, und dennoch stecken so viele von uns darin fest.
Ich glaube, das Leben ist anders gemeint. Wir Menschen sind anders gemeint. Ich glaube, es ist an der Zeit, das Leben wieder leichter zu leben, den Ballast abzuwerfen, ein paar von den Koffern, Taschen und Säcken auszuleeren oder einfach stehen zu lassen und sich selbst und das Leben nicht immer ganz so ernst zu nehmen, mehr zu spielen, zu lachen.
Wie wär´s denn, wenn nicht erst die Arbeit und dann das Vergnügen käme, sondern die Arbeit selbst schon Vergnügen wäre? Wie wäre es, wenn wir uns nicht abrackerten, sondern der Freude folgten? Wenn wir uns vom Gepäck befreien, uns wieder leicht und frei fühlen, das Leben als Wunder und riesiges Geschenk ansehen könnten? Wenn wir die Schwere unserer Konditionierungen und Glaubenssätze abschütteln und alle Facetten von uns zum Ausdruck bringen würden? Aber wie kann es gelingen, den Ballast abzuwerfen?
Ein erster Schritt kann sein, sich selbst die Erlaubnis zu geben, die schweren Koffer stehen zu lassen - die Erlaubnis, dass es auch leicht sein darf. Ja, das Leben darf leicht sein. Vielleicht ist das sogar der größte und wichtigste Schritt.
Weiterhin kann es natürlich sinnvoll und hilfreich sein, die Informations- und Nachrichtenflut im Außen zu reduzieren und stattdessen lieber im Innen zu lauschen, was das eigene Herz für Informationen und Nachrichten bereithält. Auch Meditation, Yoga, Tanzen, Therapie sind sicherlich einige von vielen Möglichkeiten, um immateriellen Ballast abzulegen.

Improvisationstheather
Ich möchte hier eine weitere "Methode" vorstellen, die meiner Ansicht nach geeignet ist, um sich vom Ballast der eigenen begrenzenden Glaubenssätze, von den Koffern der ständigen Sorgen, den Säcken des Leistungsdrucks und den schweren Taschen des eingefahrenen Denkens zu befreien. Improvisationstheater spielen. Dies ist ein wundervoller Weg, wieder in die Leichtigkeit, Lebensfreude und Lebendigkeit zurückzukommen. Dabei sind weder Text noch Rollen vorgegeben, auch nicht die Handlung oder der Schauplatz für die Szenen. Alles entsteht aus der Magie des Moments heraus und es öffnet nach allen Seiten- es öffnet den Kopf, das Denken und das Herz.
Mit zahllosen Übungen des Improvisationstheaters, die auf ganz spielerische und leichtfüßige Art, Schritt für Schritt aus der Ängstlichkeit, aus der inneren Begrenztheit und dem Kontrollwahn führen, leeren sich Stück für Stück unsere schweren Alltagskoffer. Wir müssen uns dabei nicht auf unsere Koffer und Taschen mit dem unnützen Gepäck konzentrieren und darauf, wie wir sie loswerden können; auch den Zustand der Leichtigkeit, den wir erreichen wollen, brauchen wir nicht in den Fokus zu nehmen.
Das Ballast-abwerfen passiert einfach. Während wir spielen, lachen, mit anderen Menschen in wertschätzender, kreativer Interaktion sind, geschieht das Koffer-Leeren ganz von selbst. Und wir fühlen uns unbeschwerter, leichter und freier.
Wir müssen also nichts neu lernen, erarbeiten, schaffen, geschweige denn uns abrackern, um uns wieder lebendiger und leichter zu fühlen. Wir müssen auch nicht überlegen, wohin wir den Ballast tun sollen. Es genügt, einfach loszulegen. Einfach wieder spielen, lachen, Neues ausprobieren, Impulsen folgen. Dann merken wir: Es ist alles noch da, das Lebendige, Leichte, die Lebensfreude. Es war nie weg, nur verbuddelt unter den Koffern, Taschen und Säcken des Alltags.

Improvisationstheater spielen ist ein bisschen wie die Reset-Taste im Gehirn drücken. Plötzlich gibt es wieder mehr Platz, und unsere Bandbreite sowie unser Repertoire an Denk- und Verhaltensweisen werden wieder größer. Möglicherweise ist dieses Ballast abwerfen aber wie die Küche aufräumen, den Keller entrümpeln oder den Kleiderschrank ausmisten - das müllt sich wieder zu, wenn man nicht aufpasst. Das muss man immer wieder machen, man muss dranbleiben oder es von Zeit zu Zeit wiederholen.

Wunderbar am Improvisationstheater spielen ist, dass sich die Fähigkeiten, die man dabei ganz nebenbei trainiert, auch auf den Alltag übertragen lassen. Die Flexibilität, das Annehmen von Situationen und Mitmenschen, der Mut zum Risiko, das "Kontrolle loslassen und vertrauen", die positive Fehlerkultur, das achtsame Zusammenspiel im Team helfen uns, auf der Improvisationsbühne genauso wie auf der Bühne des Lebens.


Sabine Merfort ist Schauspielerin und Trainerin für Improvisationstheater, Beraterin für Bewusstseinsentwicklung und Selbstrealisation nach Dr. Christina Kessler und bietet mit ihrer Kollegin Yasha Müllner und dem gemeinsamen Unternehmen „madameLACHT“ Workshops und Kurse an, die Improvisationstheater mit dem Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung verbinden.

Hinweis zum Artikelbild: © ontrastwerkstatt - Adobéstock



Es gibt immer eine Lösung, wenn du nur auf das Gute ausgerichtet bist ... ein Gespräch mit Kerstin Scherer


Sie haben einen ungewöhnlichen Lebenslauf von der Physiotherapeutin, Schamanin zur Unternehmensberaterin und Coach. Wie sind Sie das erste Mal mit dem Thema Schamanismus in Berührung gekommen?
Kerstin Scherer: Bereits im Alter von 4 Jahren war der erste Schamane zu Gast im Hause meiner Eltern und ich hörte zum ersten Mal von Feldern, Energien und Wirkungsweisen, die ich schon damals als äußerst spannend empfand. Seine Praxis war das Pendeln, Chiropraktik, Geistheilung und Exorzismus. Auch wenn sich das verrückt anhört, hatte ich da das erste Mal das Gefühl "normal" zu sein.
Allerdings hatte ich gleichzeitig das Glück, mit einer Unternehmerfamilie eng vertraut gewesen zu sein. Ich war recht früh fasziniert davon, ein Unternehmen zu leiten und sich eine gewisse Freiheit im Leben zu erschaffen. Diese Unternehmerstrategien haben sich irgendwann in mein Bewusstsein eingewebt und finden noch heute in mir Anklang und Umsetzung.

Wussten Sie sofort, dass dies der richtige Weg für Sie ist?
Zu Beginn meines Erwachsenenlebens kam ich etwas durcheinander und habe den beruflichen Einstieg in einer Werbeagentur begonnen und diese Ausbildung tatsächlich wieder abgebrochen, um Physiotherapeutin zu werden. Auf der einen Seite war in mir dieser dienende, kreative, emphatische Anteil, und ich wollte unbedingt mit Menschen zusammenarbeiten. Und auf der anderen Seite sehnte ich mich nach Klarheit, Erfolg und Strategie und rück-blickend sicherlich auch nach Marktveränderung. Es hat nun doch bis zum 4. Lebensjahrzehnt gebraucht, um beides zu vereinen und ich hoffe, dass dies jungen Menschen früher gelingt. Denn die Welt verändert sich stetig und benötigt Menschen mit authentischer Stabilität und kleine oder größere Leuchttürme.

Sie kommen in Ihrer Arbeit auch mit Krankheit, Leid und Tod in Berührung. Wie beeinflusst dies Ihr persönliches Dasein auf dieser Erde?
Krankheit, Leid und Tod gehören zu meinem Alltag, da sich Menschen parallel zur medizinischen und psychologischen Betreuung an mich wenden. Ich habe vor Jahrzehnten gelernt, auszuhalten was andere Menschen erleiden, um ihnen bestenfalls eine kraftvolle Begleitung und Unterstützung zu sein.
Daher betrachte ich das Leben als wahres Wunder und gebe immer mein Bestes, da wir nie wissen, wie lange unsere Lebenszeit tatsächlich andauert. Außerdem zählt am Ende unserer Lebenstage wohl eher, was wir an Liebe hinterlassen haben und ob wir das Leben anderer Menschen wirklich bereichern konnten. Dies gelingt besser, wenn das eigene Leben als sinnvoll und erfüllend empfunden wird. Ich stelle mir oft die Frage, aus welchem inneren Teil in mir die Entscheidungen getroffen werden: aus dem Ego oder aus der Seele? Oder konkreter: Nehme ich mich ernst, aber nicht zu wichtig und gelingt es mir, mich dem Leben ganz zu geben, das Beste zu tun, ohne dem Perfektionismus zu unterliegen.

Woraus ziehen Sie persönlich Ihre Kraft?
Die Ordnungen des Lebens und die geistigen Gesetze als natürliche Macht und Wirkungsweise zu verstehen, bedeutet, stetig in einer gewissen Kraft zu bleiben. Dennoch sind für mich geistige Klarheit, Ruhe aber auch Sport ein wesentlicher Ausgleich in der Waagschale der Lebensbalance.
Der Wald und meine Tiere sind ein Feld in dem ich meine Kraft ebenso nähren kann, wie mit Musik, Freundschaft und geistigem Austausch. Ich schätze es sehr, mit mir alleine zu sein, aber ebenso bin ich gerne mit Menschen zusammen, die auf eine bessere Welt ausgerichtet sind.

Haben Sie ein persönliches Krafttier für sich?
Für mich gibt es nicht "das" Krafttier, sondern zu einer gewissen Lebensphase gehört das entsprechende Krafttier mit der entsprechenden Intention dazu. Wir haben nicht "zufällig" eine Katze oder ein Hund als Haustier. Auch die Haustiere können Krafttiere für uns Menschen sein. Immer dann, wenn uns ein Tier sehr intensiv begegnet und auf eine gewisse Art und Weise auf sich aufmerksam macht, kann dies als Krafttier einen bestimmten Zeitraum im Leben eines Menschen sein. Allerdings sind sowohl der Adler als auch der Wolf meine persönlichen stetigen Begleiter.

Zu Ihnen kommen Menschen mit den unterschiedlichsten Anliegen. Mit welchen Fragen und Wünschen werden Sie bei Ihrer Arbeit immer wieder konfrontiert?
Wir haben die am häufigsten gestellten Fragen im Team die vergangenen 20 Jahre notiert und ausgewertet. Es geht rund um die Fragen: Umgang mit Tod und Krankheit, Liebe, toxische Beziehungen und Entscheidungen in den Grenzthemen des Lebens sowie da-rauffolgende Probleme jeglicher Art. Um mal ein paar reale Beispiele zu nennen: "Ich lebe in einer Partnerschaft, die von Gewalt geprägt ist und dennoch finde ich nicht die Kraft, meinen Mann zu verlassen. Woran liegt das? Was kann mir helfen?" … "Ich habe Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium. Wie kann ich diese kurze Zeit, die mir bleibt mit allem was um mich herum ist, meine Kinder, mein Mann und … und … und nutzen? Was ist alles zu beachten? Muss ich mich noch mit Menschen treffen, die ich nicht mag?" … "Wenn ich am Abend ins Bett gehe, habe ich noch immer das Gefühl, die Geräte meiner Frau zu früh abgestellt zu haben, bevor sie gestorben ist. Wie gehe ich mit dieser Schuld um? Wie hört das endlich auf?" … "Wie kann ich meine Potentiale wirklich erkennen? Ich mache immer wieder die gleichen Fehler, wie kann ich das endlich ändern?" … "Wenn es wirklich eine Seele gibt, wie kann ich ihr dann zuhören?"

Sie werden bei Ihrer Arbeit mit vielen Problemen von anderen Menschen konfrontiert. Wie schaffen Sie es persönlich, immer wieder kraftvoll und positiv das Leben zu sehen?
Wenn wir die Gesetze des Universums und die menschlichen Ordnungen des Lebens verstehen, können wir aus Erfahrung lernen und ein erfülltes Leben gestalten. Sicherlich gibt es auch in mir einen wertenden und urteilenden Teil, aber in meiner Arbeit mit Menschen erlebe ich immer wieder kraftvolle Lösungen. Es ist so, als wäre ein großes Problem zeitgleich auch die größte Gabe und Gnade in und für uns Menschen. Und diese Ursprungskraft, die wir Lebensenergie oder Liebe nennen, ist jederzeit gegeben. Ich würde nur dann an Kraft verlieren, wenn ich mein kraftvolles Mitgefühl aufgebe. Vielmehr heißt es für mich: Anerkennen was ist und tun, was gerade dran ist. So bleibe ich in meiner inneren Mitte. Auch, wenn ich ab und zu ein paar Tränen mit weine.

Sie sind erfolgreiche Unternehmerin, Seelsorgerin, Ehefrau und Mutter: Wie schaffen Sie es, allen Bereichen Ihres Lebens gerecht zu werden?
Zu meinem Leben gehören Organisation, Disziplin und das frühe Aufstehen um fünf Uhr, denn alles braucht seinen Raum und jedes seine Zeit. Als Unternehmerin ist es wichtig, dass das ganze Team über mein Handeln, Denken und Entscheiden so informiert ist, dass es eigenständig handeln kann und dennoch als Team agiert. Wichtig ist sicherlich auch, dass die natürlichen Hierarchien und Ordnungen eines Unternehmens eingehalten werden und das gesamte Unternehmen auf eine weitere Verbesserung ausgerichtet ist. Als Mutter möchte ich an meinen Kindern ganz nahe dran sein. Gemeinsame Essenszeiten, Hausaufgabenbetreuung, Schulelternbeirat - all das liegt mir sehr am Herzen. Aber ohne meine Eltern könnte ich die ganzen Seminare und das Unternehmertum kaum gewährleisten. Auch die Zeit für Sport und Meditation ist fest in meinem Wochenplan eingebaut und nicht verhandelbar. Und wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich manchmal sogar Zeiten mit Freunden einplanen, da sonst die Wochen verfliegen und ich habe nicht telefoniert oder jemanden getroffen. Grundsätzlich erlebe ich, dass wir Menschen viel mehr Kraft haben, als wir manchmal von uns selbst glauben. Denn so viele Talente ein Mensch hat, so kann er sie auch zur gleichen Lebenszeit ausleben. Aber einen kleinen Geheimtipp habe ich schon: 5 Minuten am Tag gehören nur mir ganz alleine. In diesen 5 Minuten darf mich kein Mensch stören. Manchmal trinke ich einen Tee, manchmal mache ich gar nichts oder schlafe kurz ein. Aber dieser Slot von definitiver Ruhe, gibt mir manchmal mehr Kraft als 3 Stunden Meditation oder Schlaf.

Und noch eine letzte Frage. Was ist Ihre wichtigste Empfehlung, damit wir unserem persönlichen Glück ein Stück näherkommen können?
Wenn wir davon ausgehen, dass jeder Mensch von Grund auf seine eigenen Talente, Potentiale und Fähigkeiten hat, gilt es, dies auch vollumfänglich auszuleben. Aber die störenden äußeren Einflüsse und das Kollektivbewusstsein unserer Gesellschaft, hindern uns manchmal daran das Leben als leicht, frei und erfüllend zu erkennen. Dann ist es an der Zeit, sich diesen Hindernissen zu stellen und gute Lösungen zu finden. Denn bereits in der Betrachtung der Thematik, wandelt sich schon die innere Haltung zu einer Einsicht oder Erkenntnis. Diese wiederum führt zur Veränderung und gleichzeitig zu einem selbstbestimmten, freien Leben. Schaffe ich es beispielsweise nicht, eine längst fällige berufliche oder persönliche Entscheidung zu treffen und diese auch zu leben, da sie zu einer Lösung und damit einer Verbesserung des Lebens beiträgt, werden wir durch Ereignisse im Außen immer wieder subtil darauf hingewiesen. Gehen wir diesen Weg zurück, ist es der gleiche Weg, der uns heilt und das Glück wahrnehmen lässt. Wenn wir das Leben so laufen lassen, wie es ist, besteht die Gefahr, dass es uns immer wieder liebevoll mit der Nase auf die Thematik stößt. Und das können wir leicht unterbrechen, indem wir anschauen was ist und auf etwas Besseres ausgerichtet sind. Ein guter Weg, dem persönlichen Glück näher zu kommen! Denn ein ja ist ein ja, ein vielleicht ist ein nein, und ein nein ist ein nein. Ich bin mir sicher, ein Mensch ist angetreten, um zu diesem Leben "Ja" zu sagen. Diese Erlebnisse im Moment - dieses Gewahrsein im Hier und Jetzt - das Erkennen von Sinn und Erfüllung im Leben. Das Gefühl, das Beste im Leben zu geben und auch annehmen zu können, was das Leben schenkt. Das ist wahres Glück


Kerstin Scherer ist ausgebildete Physiotherapeutin und Schamanin und eine erfolgreiche Unternehmerin. Sie ist Brückenbauerin zwischen uraltem schamanischem Wissen und unserer modernen westlichen Welt. Seit über 30 Jahren unterstützt sie Menschen bei tiefgreifenden Problemen und seelischen Schmerzen und bei der Suche nach der eigenen Erfüllung.

Im März 2023 ist ihr Buch „Erwacht – Von der unbedingten Erreichbarkeit des Glücks“ im Verlag JKamphausen erschienen. Mit diesem Ratgeber baut sie uns eine Brücke zwischen dem alten ursprünglichen Wissen der Schamanen und unserer modernen Welt. So sind wir in der Lage, wahre Lösungen in jeder Lebenslage, Lebenssinn und gesunde Ordnungen für ein Leben zu finden, das einfach gelingen kann.
Kerstin Scherer weiß, jedem Schicksal geht eine eigene Geschichte des Lebens voraus. Ob in der Ursprungsfamilie und den eigenen Vorfahren, dem eigenen Seelenbild, oder dem Wunsch nach einer wahren Sinngesellschaft, aber dem Folgen ursprünglicher gesellschaftlicher Normen – so können Glaubenssätze der Familie übernommen und unbewusst weitergeführt werden. Konflikte, die durch Schuld, Angst oder Wut getragen werden, zeigen sich manches Mal in einem stillen Gewand, bis im Leben Verlust, toxische Beziehungen und Erfolglosigkeit gegeben sein können.
All das prägt unser Leben – ohne dass wir uns dessen bewusst sind! In ihrer Biografie berichtet die spirituelle Lehrerin Kerstin Scherer von ihrem persönlichen Erfolgsansatz, generationenübergreifende Kontroversen aufzulösen. Dabei verbindet sie Schamanismus, Spiritualität und altes Wissen mit aktuellen Erkenntnissen verschiedener geisteswissenschaftlicher Ideen und Ansätze, sowie schematischer Familienaufstellungen. Durch diese Seelenarbeit und die Beantwortung wichtiger Fragestellungen entsteht ein Moment des „Erwachens“. Die Transformation beginnt und etwas wunderbares Neues kann entstehen! Ein Leben in sinnvollen Gegebenheiten, Freiheit, Liebe und Verbundenheit.

Buchtipp:
Kerstin Scherer: Erwacht. Von der unbedingten Erreichbarkeit des Glücks – Die Biografie der Systemaufstellerin Kerstin Scherer über Hellsichtigkeit und Spiritualität. Kamphausen 3.2023, gebundenes Buch mit Hardcover, 264 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 9783958836235


Hinweis zum Artikelbild: © Scherer GmbH 6 Co KG



Ein chronisches Rückenleiden – und wie kann Heilung gelingen? Befreiung von pränatalen toxischen Emotionen ... von Peter Maier


"Etwa jeder Dritte erwachsene Deutsche leidet unter Rückenproblemen. Hunderttausende werden jedes Jahr an der Bandscheibe operiert." So stand es 2018 in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung. Es ging dabei um das Aufdecken der Hintergründe eines Medizinskandals bei Bandscheibenoperationen, der vielen Menschen die Gesundheit gekostet hat. Sie hatten sich aufgrund ihrer jahrelangen Kreuzschmerzen bereitwillig von Ärzten und ihren vollmundigen Versprechungen von "neuer Technik" und "schneller Heilung" betören lassen.

Ein schlimmer Medizinskandal
Im obigen Fall hatte eine englische Firma ein der echten Bandscheibe ähnliches Plastikimplantat entwickelt, das die bisher üblichen Behandlungsmethoden "Versteifen zweier Wirbel ohne Bandscheibe" oder "Metallprothese als neue Bandscheibe" ersetzen sollte. Denn bei diesen medizinischen Maßnahmen, die in vielen Fällen selbst Fachleute kritisch beurteilen, haben die Betroffenen danach häufig weiterhin Schmerzen, manchmal sogar noch schlimmere als vor der Operation.
Im vorliegenden Fall hatte die mittlerweile längst aufgelöste englische Firma "Ranier Technology ihren Bandscheibenersatz als "Wunderscheibe" angekündigt, obwohl zuvor der Test an Affen bereits schlimm ausgegangen war. Bei der Zulassung wurde getrickst, die Ergebnisse an den Affen unterschlagen und die Plastikbandscheibe dennoch auf den Markt gebracht - mit fatalen Folgen. Bei vielen Patienten musste die Plastikscheibe wieder herausoperiert werden, weil sie den Belastungen in keiner Weise standhalten konnte und sich im Körper bereits in viele Einzelteile zerlegt hatte, die dann in benachbarte Körperregionen eingedrungen waren. Neben den "Kollateralschäden", die die Bandscheibenteile angerichtet hatten, bekamen die Betroffenen infolge des Fehlens der Bandscheiben zusätzlich furchtbare neue Schmerzen.
Der Skandal um die Bandscheibe Cadisc L ist sicher ein Extremfall. Dennoch kann er exemplarisch Grenzen, Auswüchse und Fehlhaltungen in unserem heutigen hochdotierten Gesundheitssystem aufzeigen, sowie das Zusammenwirken der modernen Medizintechnik, der Orthopädie, des Kassensystems und der Einstellung vieler Patienten näher beleuchten. Ich erkenne hier eine fatale Verknüpfung vom Können der (Schul-)Medizin und der Einstellung der Patienten, von denen viele an dieses System noch immer uneingeschränkt glauben: dass bei einem körperlichen Problem die Ärzte (fast) immer eine Lösung parat haben - durch entsprechende Medikamente oder eben durch Operationen.

Kritische Anfragen zur heutigen Medizin bei chronischen Krankheiten
Diese positive Haltung vieler Patienten ist berechtigt, wenn man die großen und bisweilen sogar spektakulären Erfolge unserer Ärzte im Bereich der Notfall-, Akut-, Intensiv- und Operationsmedizin, sowie die hervorragenden heutigen Diagnose-Möglichkeiten betrachtet. Die gleiche Medizin scheitert jedoch so oft bei chronischen Erkrankungen wie etwa bei Krebs oder im Bereich von Kreuzschmerzen, die zu einer Volkskrankheit geworden sind.
Meiner Erfahrung nach hat (fast) jede Erkrankung individuelle Ursachen, die ursprünglich meist psychisch verursacht oder zumindest psychisch beeinflusst werden. Unsere Medizin ist daher notwendigerweise völlig überfordert und hat auch gar nicht die Zeit dazu, den individuellen Ursachen einer Erkrankung auf den Grund zu gehen. Daher versucht sie, nur die Symptome zu behandeln - mit sehr mäßigem Erfolg. Können auf diese Weise Erkrankungen nicht geheilt werden, werden sie pauschal viel- und zugleich nichtssagend als "psychosomatisch bedingt" bezeichnet.
Hier kommt die Verantwortung des Patienten ins Spiel. Auch aus eigener Erfahrung möchte ich alle Betroffenen dazu ermutigen, nach den psychischen Gründen ihrer Erkrankung zu forschen und dabei auch die vielen alternativen Angebote, die es heute gibt, ergänzend oder komplementär zur offiziellen Medizin zu nutzen - gerade bei Rückenproblemen. Denn diese können hunderte, wenn nicht sogar tausende verschiedene individuelle Ursachen haben. Es kommt immer auf die konkreten Umstände oder die Situation eines Patienten an. Die Gründe bei Kreuzschmerzen können psychisch bedingt sein oder auch auf der familien-systemischen, energetischen, spirituellen oder karmischen Ebene liegen, sich dann aber gerade im Rücken physisch zeigen: in einem chronischen Rückenleiden.

Der Rücken - das Tor zur Seele und zur Vergangenheit
Unser Rücken kann als Tor zur Seele im Allgemeinen und zu unserer individuellen Vergangenheit im Besonderen verstanden werden:
o Unsere Wirbelsäule ist die Stütze für den Körper. Auf einer symbolischen Ebene ist sie daher zugleich die emotionale Stütze für unser Leben. Fühlen wir uns gerade nicht unterstützt, isoliert, ungeborgen oder ungeliebt? Dann ist es kein Wunder, wenn sich diese Empfindungen in Rückenschmerzen äußern.
o Da sich unsere Wirbelsäule und unser ganzer Rücken in unserem Körper "hinten" befinden, sind diese Körperregionen als Symptom-Anzeiger gleichsam dafür prädestiniert, unaufgelöste psychische, familien-systemische oder karmische Konflikte aus unserer (individuellen) Vergangenheit "darzustellen".
o Da früher traditionell der Vater für die Versorgung zuständig und somit die finanzielle Stütze der Familie war, können sich in anhaltenden Rückenschmerzen auch ungelöste Beziehungsprobleme speziell mit dem Vater ausdrücken.

Es lohnt also, sich auf die Suche nach den individuellen Gründen für das Rückenleiden zu machen mit dem Ziel, eine Abhilfe zu schaffen. Denn die Alternativen, die uns die herkömmliche Medizin anbieten, sind nicht gerade erquicklich: Versteifung von benachbarten Wirbeln mit all den Folgeproblemen; Cortison-Injektionen zur Symptomlinderung mit oft unvermeidlichen Nebenwirkungen; jahrelange Einnahme von Schmerzmitteln, ohne jedoch damit eine grundlegende Heilung zu erlangen usw. Oft führen diese Maßnahmen nicht zu einer wirklichen Lösung. Der folgende "Fall Thomas" zeigt, dass es sich lohnt, nach den eigentlichen Gründen der Kreuzschmerzen zu suchen. In seinem Fall waren die Rückenprobleme pränatal verursacht.

Thomas, (62 Jahre, Name geändert): "Mein Rücken ist verkrampft"
Thomas hatte schon so viele Jahre lang ein chronisches Rückenleiden. Vor allem der vierte und fünfte Lendenwirbel rutschten bei jeder Gelegenheit aus ihrer Normalposition. Die Folge: Die umgebenden Muskeln verkrampften sich und erzeugten immer wieder heftige Rückenschmerzen. Selbst ein Heilpraktiker, der ihn mit Hilfe der sogenannten "Dorntherapie" jahrelang auf sanfte Weise fast wöchentlich "einrenkte", d. h. die Wirbel in ihre Normalpositionen zurückschob, konnte zwar meist eine vorübergehende Linderung bewirken, die eigentlichen Ursachen damit aber nicht beheben. Daher war Thomas bereit, zu einem Geistheiler zu gehen. Nach einigen Wochen Behandlung erzählte er mir folgendes:

"
Bereits während der ersten Behandlung diagnostizierte der Heiler mit Hilfe des Kinesiologie-Tests an meinem linken Arme (Ja-Nein-Abfrage über den sogenannten Muskeltest) verschiedene unverdaute Traumata aus meiner Kindheit, die sich als toxische Emotionen niedergeschlagen und in die Psyche eingeprägt haben. Das Interessanteste dabei waren zwei pränatale Ereignisse, bei denen ich offensichtlich als Embryo heftige Emotionen von meiner Mutter übernommen hatte. Bis jetzt nahm ich pränatale Vorgänge nicht wichtig.
Aber mir wurde während der Behandlungen immer klarer, dass Kinder oft ungefiltert schlimme Emotionen der Eltern übernehmen (müssen), weil sie noch zu wenig persönlichen Aura-Schutz und kaum psychische Abwehrkräfte aufgebaut haben. Als Kind ist man seinen Eltern und deren emotionalen Situationen und etwaigen Entgleisungen schutzlos ausgeliefert.
Noch mehr trifft dies jedoch für den Embryo im Bauch der Mutter zu. Er ist ja mit ihr durch die Nabelschnur aufs Engste verbunden und nimmt daher ungeschützt praktisch alles von ihr auf: Nahrung, aber eben auch die Verunreinigungen darin; die Gifte bei einem möglichen Alkohol- und Nikotingenuss der Mutter; und eben all ihre Emotionen während der Schwangerschaft wie Freude, Wut, Trauer, Unsicherheiten, existentielle Ängste u.v.m..

Die toxische Wirkung übernommener pränataler Emotionen
Zwei solche von meiner Mutter ungefiltert übernommenen Emotionen, die der Heiler austestete, haben mich vorübergehend sehr aufgewühlt. Die eine lautete 'Bestürzung und Panik', als meine Mutter ihre (ungeplante) Schwangerschaft mit mir bemerkte. So wie einem Erwachsenen der Schreck in die Glieder, also in die Weichteile des Körpers, fahren kann, um der Panik einen Ort zu geben, an dem sie sich entladen und ergießen kann, so muss damals die Bestürzung meiner Mutter in mich als Embryo hineingefahren sein.
Wie die weiteren Kinesiologie-Tests bei dem Heiler zeigten, sind diese Bestürzungs- und Panik-Emotionen meiner Mutter in viele meiner Organe und Körperteile eingedrungen, da ich als Embryo wie ein einziger ungeschützter "Weichteil" in ihr lag - zur Aufnahme solcher Gefühle bereit. Kein Wunder, dass es dabei auch die sich gerade ausbildende Wirbelsäule, die Stütze des Lebens, erwischt hat.
Die andere von meiner Mutter übernommene Emotion lautete 'Grauen und Schrecken' zu Beginn des vierten Schwangerschafts-Monats, als alle Abtreibungsversuche mit giftigen Pflanzen fehlgeschlagen waren. Es ging somit damals für mich als Embryo um Leben und Tod. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch diese toxische Emotion meine Lebensbasis negativ beeinflusst hat, indem sie in die sich gerade ausbildende Wirbelsäule 'gefahren' und dort Zeit meines Lebens stecken geblieben ist. Je älter ich wurde, umso stärker spürte ich eine Verkrampfung im Rücken, die offenbar wesentlich von diesen nie aufgelösten und bisher unbewusst gebliebenen pränatalen Gefühlen verursacht wurde.

Transformation alter Gefühle
Als mir dies alles in der Behandlung bewusst wurde, war ich zunächst bestürzt. Aber kurze Zeit später wurde ich zu meiner Überraschung von einer unbeschreiblichen Freude und einem starken Energiestrom durchflutet. Ich erlebte ein ganz elementares Glücksgefühl, einfach deshalb, weil ich überhaupt am Leben bin. Hätten die Abtreibungsversuche meiner Mutter funktioniert, wäre ich ja nicht geboren worden, würde es mich gar nicht geben, wäre ich nicht am Leben. Statt Wut auf meine Mutter empfand ich jetzt tiefes Mitgefühl für ihre damalige Not als junges unverheiratetes Mädchen, das soeben geschwängert worden war, nicht mehr ein noch aus wusste und sich daher ernstlich überlegte, wie sie mich abtreiben und wieder loswerden konnte.
Als der Heiler diese beiden Emotionen geistig ablöste und durch ein kleines Ritual aus meinem Körper-Geist-Seelen-System löschte, spürte ich bereits während der Behandlung eine merkliche Erleichterung in meinem ganzen Rückenbereich. Aber dann passierte in einer der folgenden Heilsitzungen noch etwas ganz Unerwartetes: Ich hatte schon immer geahnt, dass ich als Baby nicht erwünscht gewesen war. Als aber jetzt bei der Arbeit mit dem Heiler offenbar wurde, dass meine Mutter damals in ihrer Not und Panik ernstlich versucht hatte, mich abzutreiben, wandelte sich das anfängliche Erschrecken darüber nach kurzer Zeit in ein inneres Bild tiefer Geborgenheit. Ich sah mich als Baby zunächst wie Moses im Binsenkörbchen im Schilf am Nilufer schwimmen.
Anschließend erlebte ich mich wohlig und geborgen mit ausgebreiteten Armen in einer Sonnen-durchfluteten Frühlingslandschaft liegen, die von schützenden Bergen umgeben war. Ich fühlte mich als Baby völlig sicher und geliebt - vom Göttlichen selbst. Ja, dieses Göttliche war wohlig und warm in mir und zugleich um mich herum. Ich wurde von der göttlichen Ur-Mutter wie in einem durchsichtigen schützenden Schleier vollkommen eingehüllt. Ich war voll Glück, wie ich es bei meiner Mutter damals als Baby vermutlich nie erlebt hatte ..."

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Reflexion: Begegnung mit dem Göttlichen als Folge der Geistheilung
Ich erkenne bei Thomas den unschätzbaren Wert solcher Erfahrungen. In seinen pränatalen Erlebnissen sehe ich die tiefste Wurzel für sein Rückenproblem: sein Abgelehnt-werden als Embryo. Es war sehr mutig, dass er sich der Behandlung mit dem Geistheiler stellte, bei der auch solche "Hämmer" ans Licht kommen können, die die absoluten Grundlagen menschlichen (Da)Seins betreffen. Das muss man erst einmal aushalten und verarbeiten können, wenn solch eine Wahrheit hochkommt: die Abtreibungsversuche der eigenen Mutter.
Wenn aber wie im Falle von Thomas die Zeit dafür reif ist, müssen diese toxischen Emotionen endlich ans Licht gebracht, aufgelöst und ihr giftiger Inhalt ein für alle Mal aus dem emotionalen Innenraum abgeleitet und beseitigt werden. Genau dies ist in den Heilsitzungen bei ihm wohl passiert. Denn Thomas spürte sofort eine Erleichterung und Entspannung in seinem Rücken. Noch wesentlicher jedoch empfinde ich die inneren Folgebilder (Seelenbilder), die er unmittelbar nach der Ablösung dieser uralten, in seinem System seit der Embryozeit gespeicherten Gefühle geschenkt bekam.
Indem er sich als glückliches und geborgenes Baby sehen durfte, kam auch das Licht hinter den schmerzlichen Emotionen zum Vorschein, die Jahrzehnte lang wie ein Pfropfen auf seiner eigentlichen Lebensenergie gelegen hatten. In dem glücklichen Baby erlebte er im Grunde sein "Göttliches Selbst". Dieses Baby war er selbst, in ihm zeigte sich sein innerster göttlicher Kern. So etwas spüren, erleben und "sehen" zu dürfen, ist eine wirkliche Gnade. Wenn man das Göttliche Selbst in sich erfährt, hat alles Sinn, egal wie schwierig vielleicht das bisherige Leben war.

In der Folgezeit erlebte Thomas eine wesentliche Entspannung in seinem Rückenbereich. Eine medizinische Behandlung war nicht mehr nötig. Aber er besuchte weiterhin warme Bäder und gönnte sich immer wieder eine Rückenmassage beim Physiotherapeuten.


Peter Maier ist Lebensberater, Initiationsbegleiter und Autor. Sein neuestes Buch „Heilung – Die befreiende Kraft schamanischer Rituale“ ist über Epubli Berlin 2022 erschienen und zum Preis als Print mit Softcover für 16,99 Euro oder als eBook für 10,99 Euro erhältlich.

Weitere Bücher von Peter Maier:
„Heilung – Plädoyer für eine integrative Medizin“, Epubli Berlin 2020, 1. Auflage, Softcover: 18,99 Euro, eBook: 12,99 Euro und „Heilung – Initiation ins Göttliche“, Epubli Berlin 2020, 2. Auflage, Softcover: 18,99 Euro, eBook: 11,99 Euro. Infos und Buchbezug unter www.alternative-heilungswege.de und www.initiation-erwachsenwerden.de


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Wie klug sie sind! Botaniker haben seit Langem nachgewiesen, dass Pflanzen weit mehr können, als wir ihnen zutrauen ... von Martin Frischknecht


Die Mimose ist eine derart besondere Art von Pflanze, dass ihr Name fast häufiger zur Charakterisierung von Menschen verwendet wird als für die Blume selbst. Dieser aus Südamerika stammende tropische Halbstrauch hat die Eigenart, seine vielfach gefiederten Blätter bei Erschütterungen oder aufgrund anderer Reize sogleich einzufalten und sich dadurch gewissermaßen kleinzumachen und von der Außenwelt zurückzuziehen. Die Mechanismen dieses bemerkenswerten Verhaltens sind gut erforscht, und die Erklärung dafür, "wie das geht" bereitet den Botanikern längst kein Kopfzerbrechen mehr.
Von daher ist es einigermaßen erstaunlich, dass sich die australische Forscherin Monica Gagliano zu einem Experiment entschloss, bei dem Mimosen in Töpfen in regelmäßigen Abständen derselben Art von Erschütterung ausgesetzt wurden. Die 65 Töpfe mit je einer Mimose drin wurden 60-mal kurz hintereinander aus einer Höhe von 15 Zentimetern fallengelassen. Wenn die Töpfe unten aufschlugen, reagierten die Pflanzen und zogen ihre Blätter zusammen. So sind Mimosen halt. So weit, so bekannt.
Um das wahrhaft Verblüffende ihres Experiments nachzuvollziehen, ist es gut zu wissen, dass Monica Gagliano von ihrer Ausbildung her keine Pflanzenforscherin ist, sondern Zoologin. Der Test, den sie mit den Mimosen durchführte, war von seiner Anordnung her eher auf Tiere ausgerichtet denn auf Pflanzen. Das hat damit zu tun, dass die Mimosa pudica zusammen etwa mit der fleischfressenden Venusfliegenfalle eine Art von Verhalten zeigt, das wir mit bloßem Auge beobachten können: Kommt ein Reiz, reagieren diese Pflanzen auf unmittelbar sichtbare Weise. Die farnartigen Blätter der Mimose falten sich aufgrund einer Berührung sogleich ein. Nähert sich ein Insekt den leuchtend farbigen Fangblättern der Venusfliegenfalle, schnappen diese in Bruchteilen einer Sekunde zu, und die Beute ist gefangen. Entsprechend ließ Gagliano ihre Blumentöpfe in kurzer Abfolge fallen. Die Blätter der Mimose hatten sich kaum wieder geöffnet, da wurden sie neuerlich derselben Erschütterung ausgesetzt. Nach einem halben Dutzend Wiederholungen ließen die ersten Mimosen die Reaktion bleiben. Sie behielten ihre Blätter trotz Erschütterung offen.
Beim sechzigsten Mal hatten sämtliche Pflanzen "das Spiel durchschaut" und behielten ihre Blätter offen. Waren die Mimosen von den Stürzen ganz einfach erschöpft? Nein, ließ man die Töpfe stehen und schüttelte sie einfach so, schlossen die Blätter sich wieder ein. Auf den Reiz des Fallenlassens reagierten die Pflanzen des Tests jedoch bis zu vier Wochen später nicht mehr.

Lernen mit Mimosen
Also hatten die Mimosen bei dem Versuch eine Erfahrung gemacht, und aus dieser Erfahrung hatten sie etwas gelernt. Das wäre die logische Schlussfolgerung aus Gaglianos Experiment. Wenn die untersuchten Subjekte nicht Mimosen gewesen wären, sondern Tiere oder Menschen. Denn Lernen und sich an Lerninhalte erinnern, sind Fähigkeiten, die wir Wesen zuschreiben, welche mit Neuronen und einem Nervensystem ausgestattet sind. Je komplexer die neuronalen Netzwerke solcher Lebewesen strukturiert sind, desto mehr an Denkleistung werden von ihnen erwartet.
Pflanzen verfügen weder über Neuronen noch über ein Nervensystem. Also können sie weder lernen noch denken noch sich erinnern. Damit sich diese Aussage aufrechterhalten lässt, sollten mit Pflanzen schon gar keine Experimente in der Art durchgeführt werden. So lautet, auf den Punkt gebracht, der Widerstand eines überwiegenden Teils der botanischen Fachwelt, der Monica Gagliano und einigen Kollegen entgegenschlägt. Die Abtrünnigen hatten sich 2005 zu einer Fachgruppe zusammengeschlossen, die sich als "Gesellschaft für Neurobiologie der Pflanzen" bezeichnete und in Florenz ihren Gründungskongress abhielt. Der etwas aufreizende Name der Gruppe wurde seitdem abgemildert auf "Gesellschaft für die Signalgebung und das Verhalten von Pflanzen".

Und sie bewegen sich doch
Allerdings blickt dieser Zweig der Forschung bereits auf gut zwei Jahrhunderte des Erkenntnisgewinns zurück. Schon der französische Biologe Jean-Baptiste Lamarck (1744-1829) soll mit Mimosen experimentiert haben. Er ließ einen Gehilfen mit Blumentöpfen in einer Kutsche über das holprige Pflaster von Paris rollen, was die armen Mimosen zwar gehörig durchschüttelte, auf Dauer aber nicht zu beeindrucken vermochte. Und wenn nicht alles täuscht, betätigte sich Charles Darwin (1809-1882) als "Botaniker im Nebenfach" mit nichts lieber als mit Experimenten zu den Anpassungsleistungen von Pflanzen. Im zweitletzten seiner zu Lebzeiten veröffentlichten Werke beschreibt der britische Naturforscher ein von ihm entwickeltes ausgeklügeltes Verfahren zur Vermessung von pflanzlichen Bewegungen innerhalb von Tagen und Stunden. "Und sie bewegen sich doch!", hören wir seitdem Botaniker immer mal wieder rufen, ohne dass eine breite Öffentlichkeit es groß zur Kenntnis nähme.
Diese Gleichgültigkeit hat jedoch mehr mit dem markanten Unterschied der Bewegungsgeschwindigkeit zwischen Mensch und Pflanze zu tun als mit einer tatsächlichen Unkenntnis auf unserer Seite. Dass bei der Pflanze "etwas geht", wenn sie im Frühling den ersten Trieb aus der Erde steckt, worauf mitunter nach einigen Tagen schon eine Blüte folgt, das weiß jedes Kind.

Wie Sonnenblumen ihre Köpfe neigen
Auch die Bewegung junger Sonnenblumen, die ihre Blüten morgens der aufgehenden Sonne zuwenden und abends die untergehende Sonne im Westen verabschieden, ist bekannt. Wie die Sonnenblume "das macht", war lange ein Rätsel, und es wurde postuliert, die Pflanze müsse über so etwas wie einen Motor verfügen, um mit ihrem Kopf eine solche Bewegung hinzubekommen. Heute weiß man, dass der Stängel ungleich wächst: Tagsüber wächst die Ostseite stärker, nachts die Westseite des Stängels. Das bringt die Blüte dazu, sich zu neigen und dadurch ein Optimum an Sonnenstrahlen aufzunehmen.
Die Veröffentlichung des populären Sachbuchs "Das geheime Leben der Pflanzen" von Christopher Bird und Peter Tomkins liegt bereits ein halbes Jahrhundert zurück. Die beiden Autoren hatten beide eine berufliche Schlagseite hin zum amerikanischen Geheimdienst. Für ihre Enthüllungen profitierten sie von den Forschungen ihres Kollegen Clive Backster, der bei der CIA auf Verhörtechniken spezialisiert war und gleichsam nebenbei auf die Idee verfiel, mit einem Lügendetektor die Oberflächenspannung von Pflanzen zu messen, denen er mit bestimmten Reizen zusetzte. Sir Jagadish Chandra Bose (1858-1937) hatte zuvor bereits Pflanzen beschallt und aufzeigen können, dass diese unter dem Einfluss von harmonischen Klängen besser gediehen.
Backster experimentierte in umgekehrte Richtung. Er bedrohte in Gedanken und Worten Pflanzen damit, ihre Blätter anzünden zu wollen, was den Lügendetektor deutlich in Richtung Stress ausschlagen ließ. Daraus schloss der unkonventionelle Forscher, dessen Experimente sich durch andere Wissenschaftler jedoch nicht wiederholen ließen, es handle sich um außersinnliche Wahrnehmungen der Pflanzen. Bird und Tomkins wiederum postulierten, Pflanzen verfügten über bis dahin noch kaum erforschte Emotionen.

Wahre Größenverhältnisse
So aufregend diese Erkenntnisse vor einem halben Jahrhundert schienen, so wenig haben sie seitdem in der Biologie und in die Gesellschaft als Ganzes hinein bewirkt. Mit gutem Grund, könnte man einwenden. Schließlich sind wir auf Gedeih und Verderb von der Flora und deren unablässiger Produktion abhängig. Pflanzen machen zusammen mit den Mikroorganismen rund 95 Prozent der gesamten Biomasse unseres Planeten aus. Tiere und Pilze tragen die restlichen 5 Prozent bei. Wir Menschen schlagen gerade mal mit einem Zehntel von Promille der globalen Biomasse zu Buche.
Das heißt, auf uns kommt es im gigantischen Zusammenspiel der organischen Kräfte nicht an. Pflanzen, Pilze und Tiere kommen gut miteinander zurecht ohne uns. Vermutlich sogar besser ohne uns, wie uns nach und nach dämmert. Was aber unser Selbstverständnis kränkt, die Krone der Schöpfung zu sein, das einzig vernunftbegabte und intelligente Wesen, wir Menschen, die Speerspitze der Evolution. Darum halten wir geradezu verbissen an unserem Alleinstellungsanspruch fest und behaupten kraft unserer Schöpfungsmythen und weiterer grandioser Errungenschaften unserer Spezies, die Erde und alles Leben auf ihr sei bloß dafür entstanden, dass wir auf diesem Planeten unseren Auftritt haben.

Wie wär´s mit Dankbarkeit?
Und sollten wir uns je eingestehen, dass das mit den Empfindungen von Pflanzen etwas auf sich hat, sehen wir uns vor ein weiteres Dilemma gestellt: Wovon sollen wir uns ernähren? Beladen wir uns nicht ständig mit Schuld, da wir den Pflanzen doch so viel Leid zufügen, indem wir sie für unsere Ernährung anbauen und ernten? Absolut gesehen ist das so, daran führt kein Weg vorbei. Sich darüber zu Tode zu hungern, ist jedoch auch keine Lösung.
Wir erfahren gleich noch eine Kränkung, wenn wir uns eingestehen, dass andere Zivilisationen vor und neben uns längst Antworten auf dieses Dilemma gefunden haben, die zumindest über unsere Art von Gedankenlosigkeit hinausweisen. Nicht von ungefähr gibt es in den bei uns beheimateten Religionen zu Anfang Herbst den kirchlichen Feiertag des Erntedanks. Der Brauch hat seinen Ursprung in vorchristlichen Zeiten, und er ist weltweit verbreitet in indigenen Kulturen. Damit zeigt sich der Mensch erkenntlich und dankbar gegenüber jenen Mächten, die ihn so großzügig am Leben erhalten, und gibt ihnen bei der Gelegenheit zumindest symbolisch etwas zurück.

Biomimikry
Damit werden wir die Rolle von "Tätern" den Pflanzen gegenüber im irdischen Spiel von "Fressen und Gefressen werden" nicht los. Deren Intelligenz und Empfindsamkeit anzuerkennen, bedeutet jedoch nicht, Pflanzen zu vermenschlichen. Beinahe hätte ich an dieser Stelle formuliert, es bedeute nicht "Pflanzen in den Stand von Menschen zu erheben". Es ist diese fest eingeprägte menschliche Betrachtungsweise, die uns in diesen Dingen so heftig in die Quere kommt. Schier zwanghaft neigen wir dazu, die Welt und ihre Erscheinungen einzuteilen in "weniger entwickelt" und "höher entwickelt", um daraufhin hemmungslos über vermeintlich auf tieferer Stufe vegetierende Wesen zu verfügen. Die Pflanzen sind uns in ihrer Entwicklung Hunderte von Millionen Jahren voraus. In der Bionik üben sich Naturwissenschaftler, Ingenieure, Architekten, Philosophen und Designer (m/w) darin, mit "Biomimikry" der Natur Verfahren und Baupläne abzuschauen, die sich in menschlicher Technik nachahmen lassen. Statt bolzengerade Autobahnen und rechtwinklige Glas-Stahl-Türme zu bauen, werden von Bionik-Ingenieure für wasserfeste Oberflächen die Blätter der Lotospflanze nachgeahmt. Der belgische Biologe Gaulthier Chapelle, einer der Pioniere dieses neuen interdisziplinären Forschungszweigs, spricht in diesem Zusammenhang von einer "Solidarität des Lebendigen".

Auf Sesshaftigkeit ausgerichtet
Stefano Mancuso gehört zu den Gründungsmitgliedern der eingangs erwähnten Forschungsgruppe zur "Neurobiologie der Pflanzen". Dieser Professor an der Universität Florenz versteht sich ausgezeichnet auf die Kunst, die Zunft der Botanik mit Aussagen über das Wesen der Pflanzen in Aufregung zu versetzen und zugleich mit klug bemessenen Voten die Wogen wieder zu glätten. In seinem populären Sachbuch Die Intelligenz der Pflanzen (Kunstmann, München 2015) beschreibt er pflanzliche Sinne wie Hören, Schmecken und Sehen, aber auch pflanzliche Formen der Kommunikation und die pflanzliche Intelligenz in den Wurzeln. Zugleich macht Stefano Mancuso aber auch deutlich, wie sehr Mensch und Pflanze sich grundlegend unterscheiden. Auf ihrem Weg der Evolution hätten Pflanzen sich früh auf die Sesshaftigkeit ausgerichtet, sie hatten Wurzeln geschlagen und ihre Intelligenz darauf verwendet, unter den gegebenen Umständen an Ort und Stelle zu überleben. Um das erfolgreich zu bewältigen, sei es unabdingbar, schadlos einzelne Glieder wie Blätter, Blüten und Stängel verlieren zu können und diese Teile später nachwachsen zu lassen. Vorausgesetzt, ihr Wurzelwerk bleibt intakt, schaffen es diese sesshaften Wesen auf eine für uns schwer zu erklärende Weise, den ständigen Ansturm von Wind, Wetter, Dürre und Fressfeinden dauerhaft zu überstehen.

Wir unteilbaren Wesen
Verglichen damit sind wir Menschen Individuen. Dem Wortsinn nach bedeutet "Individuum" nicht etwa, dass wir uns durch eine wie auch immer geartete Form von Persönlichkeit voneinander unterscheiden. Dieser Begriff steht für die biologische Tatsache, dass wir nicht teilbar sind. Verlieren wir Gliedmaßen, wachsen diese nicht nach - wir sind keine Eidechsen! Stellt eines unserer lebenswichtigen Organe seinen Dienst ein, entsteht daraus eine schwere Belastung für den gesamten Organismus, und das bedeutet in der Regel den Tod. Verletzungen, wie wir sie beim Mähen einem Rasen zufügen, kämen unter Menschen einem Gemetzel gleich. Das Gras einer Wiese wächst im Sommer nach dem ersten Schnitt ein zweites Mal, die geschnittenen Halme lassen sich trocknen und im Winter an Weidetiere als Heu verfüttern. Der winterliche Schnitt an Obstbäumen führt dazu, dass diese im Frühling kräftig austreiben und später erst recht Früchte tragen.

Leicht verstörende Fragen
Diese Art der Erneuerung aus sich selbst ist die unvergleichliche Kraft der Pflanzen. Mit ihrer den natürlichen Gegebenheiten unseres Planeten perfekt angepassten Macht werfen sie klaglos den Stoff ab, den wir zum Leben brauchen. Wachsen wieder und wieder, weiter und weiter. Wer sich diese Leistung der Pflanzen vor Augen führt, stößt über kurz oder lang unweigerlich auf eine leicht verstörende Frage. Seit unseren Anfängen haben wir Menschen uns angewöhnt, die Welt zu durchstreifen und alles, was wir darin vorfinden, auf seine Nützlichkeit hin zu beurteilen. Getrocknetes Tannenholz eignet sich gut zum Anfeuern, aus dem geschmeidig zähen Holz der Eibe lassen sich wunderbar Pfeilbogen schneiden, Eichenholz ergibt schwere, edle Möbel. Die reifen Samenkörner bestimmter Gräser lassen sich zu Mehl verarbeiten, Früchte lassen sich aufschneiden und an der Sonne trocknen, wodurch sie lange haltbar werden. Und so weiter. Was aber leisten in dem Zusammenhang eigentlich wir Menschen? Welche Art von Frucht, Korn oder Stoff werfen wir ab? Was ist unser einzigartiger Beitrag zu diesem unerhörten, unablässigen Konzert des Lebendigen? Was geben wir her? Wozu sind wir gut?
Gibt es hier und dort vielleicht ein Exemplar unserer Spezies, das auf diese Frage eine Antwort lebt und verkörpert? Auf das sich weitere Menschen ausrichten, wodurch diese selber auf die genannte Weise fruchtbar werden und das spezifisch Menschliche zum Nutzen alles Lebendigen abwerfen? Wer weiß.

Eines hingegen scheint sicher: Bis wir uns auf dem blauen Planeten nützlich machen, wie es die Pflanzen heute tun, wird es wohl noch ein paar Millionen von Jahren brauchen. Wäre gut, wenn uns die nötige Zeit dazu bleibt. Und darüber entscheiden wir weitgehend selber.


Martin Frischknecht ist Herausgeber und Chefredakteur des spirituellen Magazins SPUREN, das seit 37 Jahren in der Schweiz erscheint unter dem Motto «Journalismus mit Herz und Verstand». Der vorliegende Artikel stammt aus der Ausgabe Nr. 147 / Frühling 2023 zum Heftthema «Pflanzengeflüster» www.spuren.ch

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Es gibt keine lustlosen Frauen. Der weibliche Weg zu sexuellem Glück ... von Regina Heckert


Wenn Lust und Liebesgefühle im zarten Jugendalter erwachen, sind sie oft von Sehnsüchten und hohen Erwartungen durchdrungen. Ein märchenhafter Traum, eine Art seliger Einheitserfahrung scheint aus naher Zukunft zu winken. In der ersten Verliebtheit sieht es manchmal so aus, als könnte diese Verheißung dauerhaft erfüllt werden.

Traum und Wirklichkeit klaffen spätestens nach einigen sexuellen Erfahrungen auseinander. Zumindest für viele Frauen. Auch mir erging es so. Ich kannte Sex aus der Selbstbefriedigung und aus hochenergetischen inneren Zuständen. Und ja, auch ich hatte romantische Vorstellungen. Die sexuelle Vereinigung sollte das A und O werden, das totale ineinander Aufgehen, das Verschmelzen, die Erfüllung. Ich landete wieder und wieder auf dem Boden der nackten Tatsachen, wenn das "Rein-Raus" weh tat oder das ersehnte Liebeserlebnis viel zu schnell vorbei war. Vaginale Orgasmen gab es erst einmal keine. Natürlich liebte ich meinen Freund und hoffte jedes Mal, dass es beim nächsten Mal besser werden würde.

"Man müsste aus der körperlichen Liebe eine Kunst machen!" Trotz aller Frustrationen wusste ich das damals schon. Ich würde nur herausfinden müssen, wie. So mauserte ich mich mit 19 Jahren zum Schreck aller Partys. Freundinnen fiel die Nudelsalat-Gabel herunter, wenn ich sie aus heiterem Himmel fragte: "Bekommst du beim Sex einen vaginalen oder klitoralen Orgasmus?" Von einer Freundin zur nächsten fragte ich mich durch. Anscheinend fehlte mir ein gewisses Scham-Gen oder mein Wissensdrang war so groß, dass er einfach über die Barrieren sprintete. Eine Frau nach der anderen ließ mich abblitzen oder drehte sich weg. In meiner Not wendete ich mich bei den nächsten Partys an die Männer. Diese erwiesen sich als überaus interessiert und gesprächsbereit. Nur stellte sich leider schnell heraus, dass sie nichts wussten: "Wir reden nicht darüber. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt einen Orgasmus bekommt!" Meine erste größere Forschungsreise endete also enttäuschend. Diejenigen, die etwas wussten, sagten nichts. Und die, die etwas sagten, wussten nichts. Jedenfalls wurde mir klar, dass ich über Sexualität nicht so einfach reden konnte wie über das Wetter oder Kochrezepte oder die Urlaubsplanung. Da gab es dicke und schier unüberwindbare Mauern. Die mussten zuerst aus dem Weg geräumt werden. Das würde nicht von heute auf morgen gehen. Also widmete ich mein ganzes Leben der Suche nach einer natürlichen, ehrlichen und erfüllenden Sexualität.

Meine ersten Erkundungen sind nun schon fast 50 Jahre her. Und wenn man die heutigen Medien betrachtet, könnte man meinen, dass sich seitdem die Welt gravierend verändert hat. Der Sex-Markt boomt. Wissen, Ratgeber, Filme, Talkshows, Internet - es gibt nichts, was nicht besprochen oder sofort abgefragt werden kann. Fast jeder kennt inzwischen Slow Sex. Die weibliche Ejakulation wird in Squirt-Kursen geübt. Und an den Schamlippen wird herumgeschnippelt, um sie zu verschönern. Brüste werden bei Bedarf verkleinert oder vergrößert, wenn man dafür das nötige Kleingeld aufbringt. Alles scheint möglich zu sein. Also müssten wir doch mitten in einem sexuellen Schlaraffenland sitzen, oder?

Ist es nicht verwunderlich? Parallel zu der vermeintlich immens gewachsenen Offenheit in den Medien ist die sexuelle Unzufriedenheit der Frauen von 1977 bis heute von 8 Prozent auf fast 50 Prozent hochgeklettert. Sogar ein Drittel der Orgasmus fähigen Frauen beklagt sich. 30-jährige Singles haben noch weniger Sex als 60-jährige Paare. Bei Letzteren ist die sexuelle Aktivität ja sowieso schon drastisch gesunken. Trotz geballter Ladung von Informationsquellen täuschen viele Frauen immer noch den Höhepunkt vor. Der vaginale Orgasmus fristet weiterhin ein kümmerliches Dasein, da nur vier von einhundert Frauen ihn regelmäßig erreichen. (Studie Charité Berlin, 2004). Der Schönheitswahn bezüglich des weiblichen Körpers feiert ein Freudenfest nach dem anderen. Mit technischen Mitteln werden Fotos von Frauenkörpern weit über das Menschenmögliche hinaus optimiert. Das sexuelle Selbstwertgefühl der meisten Frauen leidet darunter und schrumpft. Dabei wäre ein positives Körperselbstbild so wichtig für eine erfüllende Sexualität.

Wer sich einmal die Mühe macht, die sexuellen Wegweiser in den Medien genauer unter die Lupe zu nehmen, dem wird schnell klar, dass fast alle nach wie vor die männlichen Vorstellungen von Sex und Lust bedienen. Sogar in manchen Frauenzeitschriften wird allerlei Verrücktes vorgestellt, das die Lust und Liebesfähigkeit von Frauen steigern soll. Oder findest du etwa, dass "Deep Throating", also der Blow Job, der den Würgereiz der Frau austricksen soll, um den Penis - tiefer als die Kehle erlaubt - eindringen zu lassen, etwas mit weiblicher Lust zu tun hat? Das ist nur ein drastisches Beispiel. Viele weitere Anleitungen im Internet und in Magazinen binden Frauen an falsche Vorstellungen, und machen sie blind für ihr wirkliches sexuelles Glück.

In all den Jahren habe ich herausgefunden, dass es für Frauen nur einen einzigen Fehler beim Sex gibt. Und der verhindert das Erblühen der wirklichen Lust der Frau. So schreibe ich in meinem Buch "Frauen im Kommen": "Er besteht darin, dass die meisten Frauen sich beim Sex automatisch an den Mann anpassen. Sie versuchen, es ihm recht zu machen. Deshalb regieren seine männlichen Bedürfnisse, seine Geschwindigkeit und seine Vorstellungen im Bett. Doch genau deshalb kommt die Frau nicht mit. Sie bleibt auf der Strecke oder zieht sich ganz vom Sex zurück. In ihrer Ratlosigkeit verfällt sie leider einem zweiten Trugschluss: Sie vermutet, dass mit ihr selbst etwas nicht in Ordnung ist, weil es nicht klappt, auf männliche Art ihre weibliche Lust zu erwecken. Also versucht sie, sich beim Sex noch mehr anzupassen und anzustrengen, um ihre Lust- und Orgasmusdefizite zu beheben."

Die meisten Frauen haben von Natur aus ein großes Einfühlungsvermögen. Das benötigen sie, um die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erfassen. Die eigenen Ansprüche können sie bei Bedarf jederzeit zurückstecken. Sie merken schnell, was andere brauchen und sind bereit, das zu erfüllen. Bei den Kleinkindern ist das auch völlig angebracht. Aber im Liebesbett?

Sich leicht in andere einfühlen zu können, kann im Sexleben für eine Frau zur Falle werden. Sie macht es dann eher dem Partner recht und übergeht ihre eigenen Bedürfnisse. In meinen Seminaren gibt es eine Übung, die heißt "Führen und Folgen". Mann und Frau legen die Handflächen aufeinander. Abwechselnd führt der eine zu leichter rhythmischer Musik, dann der andere. Die führende Person bewegt die Hände und auch den übrigen Körper. Die folgende Person stimmt sich darauf ein und bewegt sich mit, ohne die Führung zu übernehmen. Jahrzehnte lange Erfahrung hat gezeigt, dass Frauen leichter folgen können als führen. Bei den meisten Männern ist es umgekehrt. Frauen muss ich sogar empfehlen, beim Führen die Augen zu schließen, damit sie die eigenen Impulse spüren und sie ausdrücken können. Mit offenen Augen ändern sie sofort ihre Bewegungen, wenn der Mann etwas skeptisch oder kritisch schaut. Mit der sexuellen Gleichberechtigung ist es noch nicht so weit her, wie es scheint. Die Tendenz, es als Frau dem Mann recht zu machen und andere althergebrachte Denk- und Verhaltensmuster sitzen noch tief in den Poren.

Erst seit 1997 ist die Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Das sind 26 Jahre her. Wäre ich also im Alter von dreißig Jahren in meiner Ehe vergewaltigt worden, hätte ich das wohl hinnehmen müssen. Die sexuellen Rechte der Frau stecken tatsächlich noch in den Kinderschuhen. Das erklärt auch, warum viele Frauen beim Sex verstummen und nicht in der Lage sind, ihre Wünsche kundzutun oder sie dem Partner detailliert zu zeigen. Sie folgen dem Mann im Tempo und der Art der Sexualität. Das haut aber nicht hin, weil die weibliche Lust ganz andere Zugangspforten hat. Damit der Beziehungssegen nicht schief hängt, lassen manche Frauen diese ungeliebte Sexualität ab und zu über sich ergehen. Andere ziehen sich zurück und verweigern sie. Beide Wege führen ins Beziehungs-Aus. Der dritte Weg lautet: Dableiben und den Sex so zu verändern, dass er für Frau und Mann beglückend ist.

Manche Frauen wissen nur, was sie nicht wollen. Sie kennen noch gar nicht ihre wirklichen Bedürfnisse. Um etwas ändern zu können, sind die aber wichtig. Es gibt eine kollektive Landkarte der weiblichen Lust. Die besteht aus Berührungen, die für die Frauenwelt insgesamt lustfördernd sind. Daneben hat noch jede Frau ihre ganz spezifischen Eigenarten.

Ist also die erste Hürde genommen, zu wissen, was eine Frau wirklich beim Sex will und braucht, kommt die zweite: "Wie sage und zeige ich es ihm bloß?" Scham und Peinlichkeit türmen sich dann so auf, dass es manchen Frauen tatsächlich die Sprache verschlägt. Eine Frau aus meinen Seminaren konnte zum Beispiel nur zum Orgasmus kommen, indem sie ihre Vulva auf dem Bauch liegend an einem Kopfkissenzipfel gerieben hat. Die sexuelle Vereinigung mit einem Mann ist natürlich weit von diesem Kopfkissen-Feeling entfernt. Um beim Sex etwas zu ändern, muss also auch in Anwesenheit des Partners der Kopfkissenzipfel ins Bett. Damit können beide kreativ spielen: Die Frau kann auf dem Mann liegen und zwischen beiden findet auch das Kopfkissen noch so viel Platz, dass die Frau sich auf gewohnte Weise stimulieren kann. Und gelingt das, dann gibt es unzählige weitere Möglichkeiten, den Körper umzuprogrammieren. Aber zunächst müssen wir vom jeweiligen Status Quo ausgehen. Aber bringen heutzutage Frauen ihre Kopfkissenzipfel (oder anderen Eigenarten) mit ins Liebeszimmer? Viele leider nicht. Erst kürzlich hat mir eine langjährig verheiratete Frau erzählt, dass sie Angst hat, ihren Mann zu verletzen, wenn sie ihren Vibrator mit ins Bett bringt. Nur mit diesem kommt sie zum Orgasmus. Und das weiß ihr Partner dummerweise seit 30 Jahren nicht.

Eine große Studie des Projektes Theratalk (Uni Göttingen) bestätigt, dass 84 Prozent der sexuellen Wünsche der Frauen erfüllt werden könnten, wenn der Partner sie wüsste.

Je länger wir schweigen, desto schwieriger wird es, die sexuelle Sprache und das Recht auf sexuelle Erfüllung zu finden. Also bleibt allen, die sich befreien möchten, nichts anderes übrig, als mutig das Tor der Peinlichkeit zu durchschreiten. Eine Frau hat neun Jahre Orgasmen vorgetäuscht und es schließlich ihrem Partner offenbart. Natürlich war der erst einmal zutiefst erschüttert und hat gleich die ganze Beziehung in Frage gestellt, so als wäre alles Lug und Trug gewesen. Manche Frauen haben Angst, verlassen zu werden, wenn sie die Karten auf den Tisch legen. Im gerade beschriebenen Fall haben die beiden nach einer Verarbeitungszeit schließlich geheiratet, zwei Kinder bekommen und gelernt, im Bett miteinander offen zu sein, anstatt vorgegebenen Erwartungen und falschen Vorstellungen nachzueifern.

Wahre Intimität blüht auf, wenn Ehrlichkeit ins Liebesleben einzieht. Das bedeutet, keine Lust vorzutäuschen, wenn keine da ist. Zum Glück verfügen wir heute über die sanften Methoden der körperlichen Liebe, für die weder Lust noch Orgasmus zwingend sind. Gemeinsame Zeit, sich tief in die Augen schauen, den eigenen Körper und seine Impulse, die von innen kommen, wahrzunehmen und diese dann genau so zu kommunizieren, wie sie sind, öffnen den weiblichen Weg zu sexuellem Glück. Auf einmal kann Sex der Entspannung miteinander dienen und wird nicht zu einem zusätzlichen Punkt auf einer eh schon überfüllten To-Do-Liste, der dann auch noch spät abends abgearbeitet werden soll.

Manchmal argumentieren Leute, dass eine frauenfreundliche Sexualität deutlich mehr Zeit benötigt. Der Alltag ist zu vollgestopft, da geht gar nichts mehr. In Wahrheit stimmt es nicht, dass keine Zeit für Lust und Liebe da ist. Man muss einfach nur einmal das unbewusste Zeitmanagement unter die Lupe nehmen: Surfen im Internet, Netflix Serien, stundenlange fruchtlose Diskussionen und Streit. Zwackt man davon etwa die Hälfte ab, ist die Chance auf den Lusthimmel riesengroß. Sogar ein Viertel würde schon genügen, um die gemeinsame Liebe zu nähren und zu erhalten. Übrigens streiten Paare, die sich regelmäßig körperlich lieben, deutlich weniger. Wie wäre es also, feste Zeiten für das gemeinsame Vergnügen einzuplanen?

Wir entscheiden uns permanent, wofür wir unsere Zeit einsetzen. Und wir tragen auch die Folgen. Je weniger Sex ein Mensch hat, desto eher stürzt er sich laut Studien in Stress und Arbeit. Und desto eher wird er auch krank. Die fehlende körperliche Liebe führt leider sehr oft auch zu Machtspielen zwischen den Liebenden. Die kämpfen auf einmal um die schönste Sache der Welt. Kleinigkeiten, wie herumliegende Socken befeuern stundenlange Diskussionen, nur deshalb, weil der "Sexsegen" schief hängt.

Letzten Endes gibt es keine lustlosen Frauen. Wohl gibt es Frauen, die auf das, was sie bisher sexuell erlebt haben, keine Lust mehr haben. Deshalb ist es wichtig und gut, dass die sexuelle Unzufriedenheit zunimmt. Denn sie zwingt uns dazu, neue Wege zu beschreiten.

Die sexuelle Aufbruchstimmung der Frau beginnt gerade, Fahrt aufzunehmen. Der Zeitgeist ist günstig. Wir brauchen nicht nur die viel zitierte Zeitenwende in der Außenwelt, damit die Menschheit überlebt, sondern auch im Umgang miteinander. Ich möchte mit meiner Arbeit die Anzahl der sexuell glücklichen Frauen drastisch erhöhen. Dadurch sind automatisch auch mehr Männer glücklich. Kinder profitieren am meisten von zufriedenen Eltern. Sexuelles Glück ist nichts anderes als Friedensarbeit im Kleinen, die sich sicher auch im gesamten Umfeld positiv auswirkt.

Der weibliche Weg in der Sexualität lässt Männer und Frauen gemeinsam aufatmen. Nichts an Frauen ist falsch, wenn ihre Lust versiegt oder sie mit dem, was bisher im Bett läuft, nichts anfangen können. Ganz im Gegenteil: Die Reaktionen der meisten Frauen sind hilfreiche Wegweiser: Es muss eine andere Art von Sex geben, die das Herz berührt und Freude macht. Jede Frau trägt dieses sexuelle Wissen in sich. Sie muss nur lernen, ihrem Körper und seinen Signalen zu vertrauen. Dazu braucht es Stille und Zeit zum Hinspüren: vor, während und nach einem Liebesspiel. Das Hinspüren alleine nützt jedoch nichts, wenn beide nicht darüber reden. Erst dadurch kommt es zu einem gemeinsamen Erwachen hin zu mehr Achtsamkeit und Bewusstheit. Das Liebesspiel orientiert sich dann nicht mehr an äußeren Vorstellungen, sondern an den Impulsen, die aus der Weisheit des Frauenkörpers aufsteigen. Wenn wir also das Hamsterrad der Überaktivität verlassen und anhalten, um von innen heraus zu leben und zu lieben, kann Sex endlich zu Liebe werden: ganz einfach, ganz natürlich und ganz ehrlich.


Regina Heckert ist Expertin für weibliche Sexualität. Leiterin der größten Tantraschule Deutschlands. Seit 35 Jahren bundesweite Seminar- und Vortragstätigkeit zum Thema „Lust der Frau“. Autorin von „Frauen im Kommen – Der weibliche Weg zu sexuellem Glück“. Weitere Infos unter: www.befree-tantra.de

Mit diesem Buch will Regina Heckert die Anzahl der sexuell glücklichen Frauen (und damit auch der Männer) deutlich vermehren. Sie zeigt auf, dass es nur einen einzigen Fehler beim Sex gibt und wie dieser behoben werden kann. Die Lösung liegt im weiblichen Weg, und der wird an vielen Beispielen beschrieben, so dass er leicht umgesetzt werden kann.

Buchtipp:
Regina Heckert: Frauen im Kommen. Der weibliche Weg zu sexuellem Glück. J Kamphausen 2.2023. Softcover, 252 Seiten, 22 Euro. ISBN: 9783958835993.


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Wie man sich in „Verantwortung“ verlieben kann! Amir Weiss und Christiane Schmidt


Wofür übernehme ich in meinem Leben Verantwortung? Wie verantworte ich, wofür ich mich gut begründet selbst entschieden habe? Wir können nicht von Freiheit sprechen, wenn wir nicht die Verantwortung für unsere Entscheidungsfreiheit übernehmen. Wenn wir jemanden oder etwas oder unser Leben lieben, dann lebt darin immer auch die Essenz von Verantwortung. Denn wir sehnen uns danach, dass das Leben beschützt wird. Wir wollen, dass es weitergeht. Wir wollen, dass es sicher ist.

Verantwortung ist immer schon da. Sie ist in uns eingebaut. Sie ist eine Qualität, die uns geschenkt wurde. Verantwortung verlangt nichts und sie drängt uns nichts auf. Sie ist die Krone menschlicher Fürsorge und Liebe. Im Erleben der geschäftigen Welt fällt jedoch auf, dass der Begriff "Verantwortung" fast schon inflationär verwendet wird. Es scheint, dass von allen Seiten dem Menschen unausgesetzt, immer eindringlicher und lauter erklärt wird, wofür er verantwortlich ist. Es fällt auch auf, dass das kaum noch aufzufallen scheint. Je länger wir uns mit dem Wort "Verantwortung" beschäftigen, desto weniger Antworten und mehr Fragen kommen uns in den Sinn. Könnte es sein, dass wir uns, vielleicht sogar unbemerkt, immer mehr von anderen diktieren lassen, wofür wir verantwortlich sind? Hat sich Verantwortung im "modernen" Leben allmählich in eine Bürde verwandelt? Könnte es sein, dass diese Bürde durch kulturelle, soziale, politische und andere Anforderungen in unserer Zeit noch mehr gewachsen ist? Schwindet im gleichen Takt unsere individuelle Entscheidungsfreiheit und schrumpfen zugleich unsere Handlungs- und Bewegungsspielräume immer weiter?

Wenn man das Wort "Verantwortung" einmal unvoreingenommen betrachtet, fällt auf, dass das Wort "Antwort" darin enthalten ist, eine faszinierende Erkenntnis, die neue Türen zu weiteren Fragen öffnen kann: Auf was antworte ich mit meinem Leben? Höre ich meine innere Stimme noch so deutlich wie all die Stimmen, die von außen an mich herantreten? Wie antworte ich auf deren Fragen, Bedürfnisse und Forderungen? Und wie beantworte ich meine eigenen Fragen, Bedürfnisse und Nöte? Welche Absichten und Prioritäten leiten mein Leben? Habe ich sie selbst entschieden, bewusst gewählt? Auf welche Weise antworte ich meinen Inspirationen? Und wie stehe ich für das ein, was ich bewusst gewählt habe? Was ist wirklich wichtig für mich, was ich in meinem Leben sein oder tun möchte?

Es könnte hilfreich sein, die Entscheidung über "richtig oder falsch" zu vertagen und sich in der Haltung zu üben, dass nichts wirklich falsch ist, es sei denn, es wäre nicht natürlich. Der Grund, also: Warum man tut, was man tut, macht mein Tun richtig oder falsch. Unwissenheit über den Grund bietet letztlich keinen Schutz. Häufig ist das eine persönliche Ausrede, wenn man sich mit den Gründen für das eigene Tun und Unterlassen nicht wirklich befasst hat - oder nicht befassen möchte. Setzen wir die Erforschung individuellen "Antwortens" fort, könnte man noch umfassender fragen: Spüre ich Dankbarkeit für dieses Leben, das mir geschenkt wurde? Bin ich zufrieden, dass ich eine Arbeit gefunden habe, die mich und im besten Fall auch meine Lieben ernährt? Oder habe ich innerlich schon längst abgedankt und bewege mich wie ein Roboter durch den Tag? Wenn ja, wache ich dann im Laufe des Tages auf und frage mich: Was mache ich mit meiner Zeit und meinem Leben? Frage ich mich manchmal oder öfter, wofür ich als Mensch mit meinem Leben stehe? Frage und prüfe ich noch: Was sind meine Werte und Prinzipien? Höre ich noch die Antwort(en) von innen, was meinem Leben als Mensch einen Sinn gibt … und was meine wirkliche Sehnsucht in Bezug auf mein Leben ist?

Im Weiss-Institut sehen wir Verantwortung als eine hohe menschliche Qualität, die sich mit unserem Leben verbindet, sobald wir bewusst "Ja" zu etwas sagen. Menschliches Leben unterscheidet sich in einem Aspekt von allem anderen Leben der Schöpfung. Nur dem Menschen ist die Fähigkeit der freien Wahl gegeben. Nur wir Menschen können entscheiden, ob wir auf etwas reagieren oder nicht reagieren. Hierin sind wir als einzigartige (auch von jedem anderen Menschen unterschiedene) Lebewesen allein und letztlich auch allein für unsere Entscheidungen verantwortlich. Auf dieser Basis kann Verantwortung zur Summe eines freudigen Lebens werden, zu einer kraftvollen Fähigkeit, auf die eigenen Bedürfnisse und angemessen auf die Bedürfnisse anderer zu reagieren, wenn es der bewussten Wahl entspringt. Auf andere Menschen, den Planeten, seine Fauna und Flora können wir erst dann im wahrsten Sinne "verantwortlich" reagieren, wenn wir erkannt haben, warum wir uns dazu entschieden haben. Lauschen und antworten wir den Kräften, die uns das Leben geschenkt haben und diese wollen, dass wir Erfolg haben, könnten wir eines Tages feststellen, dass wir uns längst in diese Idee von Verantwortung verliebt haben.

Betrachten wir Verantwortung aus der Perspektive der Weiss-Methode im Zusammenhang mit Gesundheit, der Veränderung von Gewohnheiten und dem Loslassen von Sucht, könnten wir als erstes Prinzip die Verantwortung des Menschen für sich selbst nennen. Wir können nicht von Freiheit sprechen, wenn wir nicht die volle Verantwortung für unsere Entscheidungsfreiheit übernehmen.

Gerade jetzt, in einer Welt, die sichtlich um Orientierung ringt, können wir uns immer wieder selbst entscheiden, Verantwortung für unser Leben zu klären und zu übernehmen. Auf diese Weise bleiben wir im Service für das Leben und können diesen selbst verantworteten Service jeden Tag aufs Neue uns selbst und der Welt schenken.


Amir Weiss ist Begründer der Weiss-Methode. Wenn Sie mehr über die Arbeit im Weiss-Institut erfahren möchten, finden Sie das Buch von Amir Weiss „Gewohnheiten ändern und Sucht loslassen“ unter https://weiss-institut.de/buch-weiss-methode.de sowie vielfältige Informationen und Videos mit Erfahrungsberichten der Teilnehmer und Teilnehmerinnen auf der Webseite https://weiss-institut.de/videos. Und vielleicht gibt es auch schon wieder Neuigkeiten im Video-Blog mit Amir Weiss und Antje Black unter https://weiss-institut.de/amir-weiss-vlog.

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Löwenzahn – das Superfood vor der eigenen Haustür ... von Barbara Simonsohn


Löwenzahn ist nicht nur für Kinder ein Hit, die sich aus den Blüten Kränze winden und seine Samen-Fallschirmchen in alle Himmelsrichtungen pusten. Auch uns Erwachsene schenkt er als heimisches Superfood mit beeindruckender Vitalstoffdichte Lebensfreude und Löwenkräfte: Lebenskraft, Mut, Resilienz, Widerstandsfähigkeit, Immunkraft und Durchhaltevermögen in bewegten Zeiten wie dieser. Seine Wurzeln reichen bis zu zwei Meter in die Erde, holen aus der Tiefe wertvolle Mineralstoffe ins Licht, lockern selbst den dichtesten Boden, und seine Fruchtbarkeit ist sprichwörtlich. Im frühen Frühjahr sind leuchtend gelbe Löwenzahnblüten ein willkommenes Insektenfutter, und die Samen sind so früh im Jahr ein beliebter Leckerbissen bei Kernbeißer, Gimpel & Co. Haben Sie Löwenzahn im Rasen, lassen Sie eine Insel stehen als frühe Bienenweide und Vogelfutter.
Keine andere Wildpflanze hat so viele Namen wie der Löwenzahn: mehr als 500. Dies weist auf den hohen Stellenwert hin, den unsere Vorfahren dieser alltäglichen Heilpflanze eingeräumt haben. Augenwurzel, Schorfblume, Eiterbeulenkraut, Milchkraut weisen auf seine vielfältigen Heilwirkungen hin. Gänsefett, Eierblume und Kuhlattich zeigen seine Bedeutung als Viehfutter. Das Sonnenhafte der Pflanze kommt in den Namen wie Sonnenwirbel, Goldkraft, Himmelsschlüssel und Sonnentor zum Ausdruck.
Löwenzahn wächst fast überall bis in Höhen von 3800 Metern (in den Anden). Er wird je nach Klima zwischen zehn Zentimetern und einem Meter hoch. Jeder Stängel trägt ein Blütenkörbchen, eine Scheinblüte aus rund 300 gelben Zungenblüten. Bei Regen, Trockenheit, ja sogar bei Wolkenschatten schließt sich der Blütenstand. Nach drei bis fünf Tagen ist die Fruchtreife erreicht, und die Schirmflieger verbreiten sich in alle Winde.
Allzu Vertrautes verdient keinen Respekt, oder wie die Briten sagen: "familiarity breeds contempt". Halten Sie es lieber mit Goethe: "Warum in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah." Wolf-Dieter Storl, der bekannte Ethnobotaniker bringt es auf den Punkt:
"Was seine Heilkraft betrifft, ist der Löwenzahn ein Riese."
Für mich ist die Pflanze Symbol für Resilienz, sie ist unverwüstlich, unabhängig, wehrhaft, wild und ungezähmt. Löwenzahn enthält im Vergleich zum Kopfsalat 5-mal so viel Betacarotin, 9-mal so viel Vitamin C, 5-mal so viel Vitamin E, 4-mal so viel Magnesium, doppelt so viel Kalium, doppelt so viel Phosphor, 7-mal so viel Vitamin K, 3-mal so viel Eisen und 5-mal so viel Eiweiß. Löwenzahnblätter enthalten 10-mal so viel Folsäure wie die gleiche Gewichtsmenge Rindfleisch. Außerdem enthält dieses Superfood entgiftende Bitterstoffe, Triterpene gegen Allergien und als Krebs-Vorbeugung, Phytosterine, welche die Cholesterinaufnahme im Darm hemmen, Mineralstoffe und Spurenelemente wie Calcium, Schwefel, Kalium und Kieselsäure und darüber hinaus Polyphenole und Flavonoide, die vor allem krebshemmend, antiallergisch und entzündungshemmend wirken. Die Löwenzahnwurzel ist das ideale Diabetikergemüse, weil das Polysaccharid darin insulinunabhängig verstoffwechselt wird.
Der Folsäureanteil von 30 Mikrogramm pro 100 Gramm ist beachtlich. 87 Prozent der Frauen und 76 Prozent der Männer leiden unter Folsäuremangel. Folsäure oder Vitamin B9 schützt vor Herz-Kreislauferkrankungen, ist wichtig für die Neubildung von Zellen, die Erneuerung der Darmschleimhaut und senkt den Homocysteinspiegel im Blut und damit das Risiko für Arteriosklerose. Ein verbreiteter Folsäuremangel kann sich durch Reizbarkeit, Verdauungsstörungen und eingerissene Mundwinkel zeigen. Der Kaliumgehalt ist mit 501 Milligramm pro 100 Gramm beachtlich. Kalium ist der Gegenspieler von Natrium, was als Natriumchlorid im Kochsalz erhalten ist und im Übermaß gesundheitsschädlich ist. In Löwenzahn sind 17 Milligramm Schwefel pro 100 Gramm zu finden. Schwefel hält die Zellmembran durchlässig, so dass die Nährstoffaufnahme und Entgiftung der Zelle gewährleistet ist. Ein Mangel kann sich durch dauerhafte Müdigkeit, brüchige Haare und Nägel und ein schlaffes Bindegewebe bemerkbar machen. Der Eisengehalt mit 3400 Milligramm pro 100 Gramm Löwenzahnblättern ist bemerkenswert hoch. Die Pflanze enthält außerdem Kupfer und Eisen im idealen Verhältnis, um die optimale Resorption zu gewährleisten. Ein Mangel an Eisen kann zu Konzentrationsstörungen, Depressionen, Reizbarkeit und zu einer Schwächung des Immunsystems und einer gestörten Blutbildung führen. Löwenzahn enthält Zink, wichtig für mehr als 300 enzymatische Prozesse, sowie 8 Milligramm Bor pro 100 Gramm. Dieses Spurenelement verhindert Arthrose, verbessert die Gehirnfunktionen, ist wichtig für den Hormonhaushalt und verringert die Ausscheidung der wichtigen Mineralstoffe Magnesium und Calcium.
Als gesundheitlich herausragende Inhaltsstoffe sind der hohe Ballaststoffanteil zu erwähnen, die hohe Konzentration an Polyphenolen und das Enzym Superoxid-Dismutase oder SOD. Neben Gerstengrassaft gehört Löwenzahn zu den reichhaltigsten Quellen von SOD. Dieser Enzymkomplex neutralisiert das Superoxidradikal, ein sehr potentes und damit zerstörerisches freie Radikal, und macht es unschädlich. SOD ist eine Art Jungbrunnen und verlangsamt die Alterungsprozesse der körperlichen Prozesse besonders im Gehirn. Es entgiftet Körper und Gehirn von Schwermetallen und fungiert als Botenstoff zwischen Gehirn und Nervenimpulsen, was die geistige und körperliche Beweglichkeit auch im Alter fördert.
Polyphenole wie Ellagsäure, Kaffeesäure und Chicoéesäure wirken antioxidativ, antiviral, antibakteriell, krebsvorbeugend, sie beugen Thrombosen vor, stärken das Immunsystem, hemmen Entzündungen, senken einen zu hohen Blutdruck und Blutzuckerspiegel und fördern eine gesunde Verdauung. Seltene Bitterstoffe wie Taraxasterol, Taraxacin, Cholin und Eudesmanolid regen die Fettverdauung an, fördern den Abbau von altem Fettgewebe, entschlacken den Organismus, stärken das Immunsystem, sorgen für ein lang anhaltendes Sättigungsgefühl nach Mahlzeiten, und verbessern die Symptome von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Löwenzahn lässt äußerlich angewendet Altersflecken und Warzen verschwinden und hilft innerlich und äußerlich bei Akne. Löwenzahn hilft, Demenz zu verhindern, indem die Astrozyten vor entzündungsfördernden Substanzen geschützt werden. Astrozyten stellen die Mehrheit der Zellen im zentralen Nervensystem dar. Eine Langzeit-Untersuchung der Rush University von Chicago erbrachte, dass zwei Portionen grünblättriges Gemüse wie Löwenzahn pro Tag das Gehirn um durchschnittlich elf Jahre verjüngen. Die Inhaltsstoffe des Löwenzahns helfen bei Augenproblemen, Blasenentzündungen und sogar bei Covid-19, wie Forscher der Universitäten Freiburg und München schon 2021 herausfanden. Die Bindung von Spike-Proteinen an menschliche Lungen- und Nierenzellen wird durch Löwenzahnextrakt blockiert. Bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe in Löwenzahn wirken antikanzerogen und greifen hemmend in verschiedene Phasen der Krebsentstehung ein.
Georges Ohsawa, der Begründer der Makrobiotik, rief, als er das erste Mal Europa besuchte und mit Löwenzahn in Kontakt kam aus: "Wer Löwenzahn hat, braucht keinen Ginseng mehr!" Die Power-Pflanze bringt uns "back to balance", zurück ins Gleichgewicht. Sie schenkt uns unmittelbar Lebenskraft. Es ist so, als wenn der lang ersehnte Regen endlich auf ein ausgedorrtes Stück Land fällt: der Mensch blüht auf.


Buchtipp:
Barbara Simonsohn, „Löwenzahn. Wunderkraut für Resilienz und Lebenskraft, Verlag Mankau Kompaktratgeber, April 2022, Klappenbroschur, 158 S., 12 Euro, ISBN-978-3-86374-694-0


Hinweis zum Artikelbild: © Madeleine Steinbach - Adobéstock


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